ÖVP Werte-Kampagne: Worthülsen und Unglaubwürdigkeit

Die aktuelle Werbekampagne der ÖVP (sie stammt von der deutschen Agentur Butter, die nach Screening in Österreich und Deutschland ausgewählt wurde) verdeutlicht die semantische Wirkweise von Aufbau, Struktur, Farben und Textbotschaften. Sechs unterschiedliche Botschaften werden vermittelt – „Werte aus Österreich“ in Verbindung mit Menschen. Hier nur sei nur ein Auszug angeführt.

Die Zeichen der Gesamtkampagne

Bei der Konzeption wurden eindeutig die Kriterien der Attraktivität berücksichtigt: Alle Darsteller weisen glatte Haut auf, Lächeln oder Lachen und haben auffällig symmetrische Gesichter. Das Ästhetische wirkt sich auf die Wahrnehmung des Ethischen aus, also ob wir etwas gut oder schlecht bewerten. Doch die Berücksichtigung von Attraktivitätsstereotypen alleine reicht nicht aus, um bei einer Wahl Erfolge zu erzielen. Das Zeichen Mensch rekurriert auf die geschriebene Botschaft in den farbigen Kästchen. Sie sind die visualisierten Versprechen. In ihnen sucht der Betrachter die Erfüllung des Geschriebenen. Und noch mehr: Die umgebenden Zeichen wie die Farbe des Kästchens und des Hintergrundes sowie der Kleidung der Personen wirkt sich auf die Entschlüsselung der Werbebotschaft aus und auch darauf, ob dieser das Kriterium der Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird.

Die Sujets sind geordnet, strukturiert und rational aufgebaut und liefern damit eine gute Orientierung für den Betrachter. Der Aufbau, der hellgraue Hintergrund und die Textbotschaft im jeweiligen Farbrahmen ergeben die Gesamtbotschaft. Und dabei zeigen sich interessante Bedeutungsauffälligkeiten, die der Intention des Absenders widersprechen.

Generell problematisch an der Kampagne ist, dass mit Ausnahme von „Vertrauen“ nur Einzelpersonen abgebildet werden. Werte entstehen in der Gemeinschaft und werden auch in dieser gelebt. Hier sind Einzelpersonen losgelöst vom gesellschaftlichen Umfeld dargestellt. Dies erzeugt eine rationale Kühlheit, die sich rein auf das Vermitteln von Begriffen fokussiert.

„Ein Wert aus Österreich“ bedeutet, dass die genannten Werte ihren Ursprung, also ihre Herkunft, in Österreich haben. Das bedeutet weiter, dass diese Werte von Österreich aus in den Rest der Welt gelangt sind, was eindeutig einer Übertreibung bzw. Unwahrheit entspricht und Reaktanz im Betrachter auslösen kann.

Sujet „Offenheit“

Der graue Hintergrund vermittelt Neutralität und Seriosität, es schwingt aber auch das Kühle und Ferne mit. Es handelt sich um rationale Versprechen der Motivebene der Leistung und Disziplin. Einzig der Wert „Offenheit“ entstammt, im Gegensatz zu den anderen fünf Werten, dem Inspirationsmotiv und fällt damit aus der Reihe. Die Blickrichtung der Frau weist in die Vergangenheit, weg von der Zukunft. Sie bleibt mit ihrem Blick im Alten hängen. Auch das Grau ihrer Bluse konnotiert das Zwanghafte, Introvertierte. Mit dem Hintergrund ergibt sich ein Grau in Grau. Die Farbe Lila (des Textkastens) vermittelt grundsätzlich die Veränderung, die Transformation, aber auch Macht und Eitelkeit. In einem negativen Kontext ist sie die Farbe der Täuschung. „Offenheit“ wirkt als Wert in dieser Zeichenkombination unglaubwürdig. Der Zusatztext „Wer mit ‚Made in Austria’ weiter Erfolge feiern will, darf sich nicht abschotten.“ ist zudem negativ formuliert. Es gibt keine weiteren Zeichen für Made in Austria und auch der Verweis auf den Wert „Offenheit“ gelingt nicht.

Sujet „Vertrauen“

Dieses zeigt Vater und Sohn, wobei der Vater sich an den Jungen randrückt. Der Junge blickt uns an. Hier wird der Wert Stolz vermittelt und nicht Vertrauen, denn dann müsste die emotive Richtung umgekehrt sein. Auch hier wirkt der graue Hintergrund emotionsvermindernd.

Sujet „Zusammenhalt“

Hier zeigt sich die fehlende Gemeinschaft als Störfaktor bei der Glaubwürdigkeit der Botschaft. „Österreicher halten zusammen – egal woher sie stammen“ – aber der Mann am Plakat ist alleine und er weist keine eindeutigen nicht-österreichischen Gesichtszüge auf. Die rote Farbe des Textkastens evoziert in diesem Bedeutungszusammenhang einen Behauptungskonflikt. Rot steht bei positiver Konnotation für Kraft, Wärme, Nähe, Lebensfreude und Energie. Doch im vorliegenden Zeichenraum steht Rot – auch aufgrund der Farbkombination mit Schwarz – für das Gegenteil, nämlich die Aggressivität und Gefahr. Die Körperhaltung des Mannes vermittelt Stolz, er hat etwas erreicht, was dadurch signalisiert wird, dass er seine Hosenträger umfasst. Ein grüner Rahmen, der Hilfsbereitschaft und Harmonie codiert, wäre besser gewählt gewesen.

Sujet „Verantwortung“

Michael Spindelegger sieht den Betrachter als einziges Testimonial der Kampagne direkt an. Er zeigt den Willen zur Kontaktaufnahme. Sein Blick ist eindringlich und fixierend. „Verantwortung“ ist ein Appell an die Rezipienten. Das helle Blau transportiert Stolz, aber auch Sachlichkeit, Kühle und Ferne. Die Kombination Grau-Blau unterstreicht das Kühle, Nachdenkliche. Die Kampagne wäre ohne Logo für den Betrachter schwierig zuordenbar. Dann würde nach bekannten Symbolen gesucht werden wie z.B. der Farbe.

Claim „ÖVP – Zukunft aus Tradition“

Tradition bedeutet, die Dinge zu tun, wie sie überliefert wurden, es immer schon war. Das gibt den Menschen einerseits Sicherheit, aber andererseits ist Tradition auch der Gegner des Fortschrittes und der Veränderung. Die tatsächliche Botschaft, die im Unterbewusstsein ankommt, lautet: Wir machen weiter wie bisher. Wenn wir Tradition im Sinne der politischen Herrschaft (Soziologie nach Max Weber) betrachten, so knüpft der Begriff an eine herrschende Einzelperson. Was weiter bedeutet, dass die politische Ordnung primär auf überliefertem Wissen beruht, auf persönlichem Gehorsam basiert und alltäglichen Charakter hat. Hier fänden wir mehr Übereinstimmung mit der visualisierten Botschaft.

Fazit

Menschen und Werte gehören zusammen – in einer Gemeinschaft und nicht losgelöst. Der Slogan „ÖVP – Zukunft aus Tradition“ wirkt irritierend. Wird Tradition im Sinne der  Überlieferung zwischen Menschen gesehen und damit auch als Gegenpol zum Fortschritt oder im Sinne Max Webers als politische Herrschaft von Einzelpersonen? Durch den stilistischen Aufbau positioniert sich die ÖVP im Machtmotiv, bei den Worten/Werten im Stabilitätsmotiv. Es entsteht ein spürbares Spannungsverhältnis, das die Aussagen auf der Textebene hinterfragen lässt. Die Farbcodierung sowie die Körperhaltungen und Blickrichtungen der Personen sind optimierbar. Ergebnis: Werte verblassen zu Worthülsen und könnten falsch bzw. negativ decodiert werden. Im Falle einer nicht glaubhaften Decodierung der Botschaft kann das Grau das Signal des Heimlichen sein: Etwas wird möglicherweise hinter dem grauen Schleier versteckt. Unschlüssige WählerInnen wird man mit dieser Kampagne nicht überzeugen können. Und Politikverdrossene wird man nicht ansprechen, da der Absender nicht klar erkennbar ist.

Übrigens: Die Agentur Butter, bereits vier Mal mit dem Politikaward, dem bedeutendsten Preis für politische Kommunikation in Deutschland, ausgezeichnet, arbeitete bis dato im Politik-Segment nahezu ausschließlich für die SPD – sie betreute u.a. Kampagnen für Gerhard Schröder, Klaus Wowereit, Kurt Beck und Olaf Scholz und vor Kurzem die Kampagne zur Wiederwahl von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in NRW.

Dieser Beitrag ist auch im a3 boom, Ausgabe 6/2012 erschienen (S. 12-13).