… eine Frage des Blickwinkels. Im März diesen Jahres erregte ein Plakat der Wiener Linien einzelne Gemüter. Der beim Werberat eingegangene Vorwurf lautete wie folgt: „Das Sujet ist sowohl für Frauen wie auch für Männer diskriminierend: Männer werden zu Objekten (‚geiler Arsch’) degradiert, Frauen zu besserwisserischen notgeilen Schlampen.“ Die Entscheidung des Werberates dazu: „Es wurde keine Verletzung des Ethik-Kodex der Werbewirtschaft erkannt weder bezüglich des Artikel 2.1. ‚Geschlechterdiskriminierende Werbung’ noch des Artikels 1.1. ‚Allgemeine Werbegrundsätze’… In Anbetracht dessen wird allein die Szene, dass eine Frau einen Mann attraktiv findet nicht als sexistisch beurteilt. Als sexistisch wäre solch eine Werbung erst zu kritisieren, wenn es die Würde des Mannes verletzen würde oder diesen auf seine Sexualität reduziert. Laut den österreichischen Werberäten ist dies nicht der Fall.“
Die Frage: Was ist Sexismus, scheint doch eine spannende zu sein. Laut Definition ist sexistische Werbung die Darstellung von geschlechterbezogenen Vorurteilen und Verhaltensweisen, die eine Personengruppe gegenüber einer anderen sozial abwertet. Ist dies bei den Wiener Linien der Fall? Sehen wir uns die Zeichen an.
Die Szene in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Wiener Linien zeigt zwei gut situierte Damen mittleren Alters. Der Blick der Frau in rosa ist nach unten gerichtet und drückt dadurch leichte Scham aus. Sie kichert verstohlen in Richtung ihrer Freundin und verdeutlicht durch den Körperkontakt ihr kindliches Schamgefühl. Rechts von ihr der Grund für ihr Verhalten: Ein Männerpo verpackt in Jeans quasi auf Augenhöhe. Da befinden wir uns bereits im Rollenspiel und dem Spiel der Stereotype. Üblicherweise werden Frauen von Männern betrachtet – das Klischee wurde hier gedreht. Wir haben die Spannungsverhältnisse Mann – Frau, jung – älter, wohlhabend – studentisch. Das Spiel mit den Differenzen. Dies drückt wohl auch die reale Situation in öffentlichen Verkehrsmitteln aus: alle Altersgruppen, sozialen Schichten und Geschlechter treffen aufeinander. Aus evolutionspsychologischer Sicht ist der Status des Mannes ein essenzieller Faktor für die Attraktivitätseinstufung durch die Frau. Welche Zeichen machen die Frauen zu „notgeilen Schlampen“? Unsere Gesellschaft ist es gewöhnt, dass Männer den Frauen nachschauen. Es zeugt vom Reifegrad eines Menschen, wie sehr dieser andere auf sexuelle Attribute reduziert. Die Damen vermitteln durch ihre Kleidung ökonomisches Niveau, durch ihr Verhalten aber kindliches. Überspitzt gesagt: Wenn sich Frauen schon von einem flachen Männerpo angeturnt fühlen, so müssen ihre Bedürfnisse hoch sein. In dieser gewollten Verkehrung der Machtverhältnisse wird der Frau keine Machtposition zugebilligt – Sexismus bedeutet aber Macht in Form von Überlegenheit. Wenn Männer Frauen anstarren, so tun sie es direkt, sie schämen sich nicht dafür. Sie sind sich ihrer bewusst. Dieses Sujet spielt also eher wieder in die Kerbe der Frauen, die es sich nicht aussuchen können. Der Mann ist kopflos und abgewandt von den Frauen – er bekommt ihr Interesse noch nicht einmal mit.
Der Rahmen der Handlung in diesem Sujet ist die sexuelle Fantasie. Aufgrund dessen werden auch alle weiteren Elemente in diesem Sujet in diesem Zusammenhang aufgeladen. So auch der Fahrscheinentwerter (Fahrschein wird eingeführt) oder die Handhaltung des Mannes (Taschenträger fest im Griff). Es ist die Summe aller Zeichen, die im Betrachter unbewusst sexistisch konnotierte Irritation auslöst.
Doch wen trifft nun der Sexismus? Ist der Mann das Opfer oder ist es die Frau? Er ist kein Opfer, alles läuft unbeachtet hinter seinem Rücken ab und die Selbsterkenntnis durch die Frau löst Scham und damit auch ein wenig Peinlichkeit in ihr aus. Ist sie das Opfer? Die Aussage des Sujets spiegelt das Stereotyp der naiven (blonden) Frau wider, die erobert werden möchte.
Fazit
Charmant und geschlechterverbindend wäre eine Auflösung, die auch den Mann mit in die Koketterie einbezieht. Die Wahrnehmungskette aus Schal-Faust-Entwerter-Frau konnotiert unbewusst Sexuelles und ist mit der Grund für die Vorwürfe beim Werberat. Sexismus gegen Männer bedeutet eine Herabwürdigung auf das Primitive. Hier haben wir es eher mit Sexismus gegen Frauen zu tun, da diese dümmlich und einfach dargestellt werden und doch durch den Mann dominiert werden (Zeichen im Umfeld). Es ist fast die Aufforderung an die Frauen, sich in der U-Bahn mehr den Männern hinzugeben und die Aufforderung an Männer, diese Chancen zu erkennen und zu nutzen …
Dieser Beitrag erschien auch im a3 BOOM 7/2013.