Das iPad ist kein technologischer Fortschritt und dennoch wollen bzw. „müssen“ es so viele Menschen besitzen. Warum ist das so?
Der angebissene Apfel – das Logo von Apple – erinnert ein wenig an den Sündenfall. Man könnte meinen, dass der Apple-User vom Baum der Erkenntnis nascht. Frühere Kampagnen mit dem Claim „Think different“ haben dies stark untermauert. Mit Apple kann man sich selbst erschaffen, seine Individualität ausleben.
Das iPad verleiht dem User Macht und Freiheit: Dieser erschließt sich die Welt, wo und wie auch immer er möchte – und das mit einem Fingerwischen über eine Glasoberfläche. Alles wirkt einfach und logisch und dennoch vermittelt es Souveränität. Dinge können vergrößert, verkleinert und verschoben werden und man kann sie erscheinen oder verschwinden lassen. Und dann noch die wunderbare Welt der Apps: Eindringen in ein neues Universum an spielerischen Möglichkeiten, die einem das Dasein erleichtern und erfreuen. Dieser Zugang zu neuen „Welten“, die anderen – Nicht-Usern – verborgen bleiben, hat schon etwas „Göttliches“ an sich. Man beherrscht die Dinge, man zieht die Fäden.
Ein iPad hat auch den Vorteil, dass es schick ist. Es ist ein Mode-Accessoires, ein Schmuckstück. Es ist schön, man zeigt es gerne her. Es ist kein technisches Equipment, das rein einem Zweck dienlich ist.
Das Design und die Funktionen des iPad vermitteln Geschlossenheit, Vollständigkeit und Ganzheit. Etwas, wonach der Mensch im tiefsten Inneren strebt. Ziel ist die Beherrschung des Chaos und der Zeit voraus zu sein.
Die vermittelten Codes & die Positionierung im Werteraum
Das iPad weicht in seiner Produktkategorie vom gewohnten Design ab. Es ist ein Tablet. Es erinnert an eine Schrifttafel aus früheren Zeiten. Die Schrifttafeln aus Ton sind eines der ältesten Schreibmaterialien der Menschheit. Sie waren somit der erste Datenträger für Text- und Bildinformationen. Symbole wurden darin eingeritzt.
Und beim iPad: Die Symbole erscheinen, das Wissen habe ich immer bei mir. Meine eigene persönliche Wissenstafel. Im Gegensatz zum Einritzen in früheren Zeiten, hat das Wischen mit der Fingerkuppe etwas Künstlerisches. Ritzen ist mechanisch und grob. Die Bedienung des iPad fein, sanft und einfach. Man kann es drehen wie man möchte – der Bildschirm folgt. Es gibt kein langes „Hochfahren“ – es ist sofort bereit. Technik ist ein Spiel und der Besitzer beherrscht dieses.
Die Formen, Farben und Materialien (Glas, Metall) des iPad sowie die Struktur der Symbole (Apps) vermitteln das Einfache und Spielerische, aber auch das Edle und vor allem Andersartige. Es bietet eine sinnliche Wahrnehmung aufgrund seines Designs. Es ist handlich, mobil, leicht und einfach zu bedienen. Es vermittelt den Eindruck: Jeder kann damit umgehen! Das iPad fordert den Benutzer zu einem bestimmten Verhalten auf. Es wundert nicht, das Apple sich die Handbewegung patentieren ließ!
Das Wischen des iPad ist quasi die nächste Stufe in der Evolution: keine Tasten, keine mechanische Bedienung (kein Ritzen oder Drücken). Die Dinge (Symbole=Apps) sind vorhanden und müssen nur bedient werden.
Die symbolische Funktion des iPad, also die Ebene des Besitzers zeigt, dass dieser keiner ist, der mechanisch rumtippt. Er ist vielmehr ein Künstler, ein Freigeist mit Feingefühl. Er schafft sich seine eigene persönliche Nähe zu dem schmuckvollen Accessoire. Er will es herzeigen und damit gesehen werden. Der Besitzer bekleidet es förmlich – mit Hüllen aller Art. Und das iPad wächst und verändert sich. Es passt sich an Veränderungen der Bedürfnisse an und wird damit zu einem unverzichtbaren Begleiter.
Fazit
Das iPad spricht mehrere Archetypen in uns an und dringt damit in eine sehr tiefe und unbewusste Ebene ein. iPad Besitzer sind Schöpfer: Sie finden durch ihre Anwendungen (Apps) ihre eigene Identität. Sie sind Herrscher: Sie haben die Kontrolle über ihr Tun, dieses ist einfach und leicht. Sie sind auch Weise: Ihnen liegt die Welt komprimiert vor und Sie können alles im Moment erfahren. Und sie sind Magier: Sie können die Oberfläche und die Anwendungen verwandeln, wie sie es wollen. Das iPad zapft damit das kollektive Gedächtnis an und weckt und befriedigt ungeahnte Bedürfnisse aller Altersklassen auf der praktischen, ästhetischen und symbolischen Ebene!
Der Artikel wurde im a3 Boom 9/2011 veröffentlicht.