David LaChapelles Life Ball Plakat 2014 bewegt die Nation – immer noch. Mehr als hundert Beschwerden kamen beim Werbrat an, der für die Bewertung von Kunst jedoch nicht zuständig ist. Die FPÖ brachte einen Beschwerdeantrag wegen Pornografie ein und unzählige verständnislose Kommentare finden sich im Netz. Was hat es also auf sich mit „Ich bin Adam. Ich bin Eva. Ich bin ich.“?
LaChapelle hat ein Diptychon entworfen und dabei Elemente aus Hieronymus Bosch Tryptichon „Der Garten der Lüste“ entnommen. Am Auffälligsten ist der rosa Lebensbrunnen, der fast ident dargestellt wird, nur die Tiere fehlen in LaChapelles Bildern.
Laut Gery Keszler soll das Plakat zu mehr Toleranz und Akzeptanz aufrufen: „Es geht um Identität und darum, dass es für die menschliche Würde und Respekt keine Grenzen gibt.“
„Once in the garden (1-2)“
Zeigt uns das Transgender-Model Carmen Carrera nackt mit wallendem Haar inmitten einer Gartenszenerie. Der linke Teil des Diptychons zeigt das Model mit rein weiblichen Geschlechtsmerkmalen, der rechte sowohl mit weiblichen als auch männlichen. Die Darstellung der völligen Nacktheit überschreitet bewusst die Grenze der Obszönität, greift unser Wertesystem an. Der Konnex zum christlich-religiösen Thema – Adam und Eva im Garten Eden – macht die Botschaft noch brisanter. Die Botschaft ist schwer entschlüsselbar – aber Kunst will ja auch nicht entschlüsselt werden. Kunst sieht sich als eine Form der Sichtbarmachung, Bewusstmachung und vor allem als eine spezifische Form des Konstruktivismus. Somit kann sie uns Dinge zeigen, die für uns Tabu sind. Es wurde bewusst keine Werbung für den Life Ball gemacht, sondern die Form der Kunst eingesetzt. Im Bereich der Kunst kann ein Zeichen immer nur Möglichkeiten vermitteln; Es gibt keine festen Bedeutungen, sondern nur individuelle Interpretationen. Die wirklich interessanten Dinge in der Kunst sind jedoch nie die offensichtlichen, sondern die verborgenen. So sehen wir ein Paradies ohne Sündenfall, ohne Baum der Erkenntnis, ohne Schlange, ohne Gott, der die Menschen eint, dafür aber mit zwei Protagonisten, die uns Rätsel aufgeben. Ist der Hermaphrodit Adam oder Eva oder beides in einer Person? Und wer ist dann die Person am Boden liegend? Der Text links oben „Ich bin Adam. Ich bin Eva. Ich bin ich.“ Ist ein wichtiger Schlüssel in der Botschaft. Um ein „Ich“ auszubilden sind Bewusstsein und Wachheit wichtig. Beim am Boden Liegenden sehen wir eine Fruchtblase am Kopf – Symbol der Geburt, der Schöpfung. Die Person ist noch in der Entwicklung, nicht ganz ausgebildet und besitzt damit auch kein Ich – diese kann also weder Adam noch Eva sein. Adam war laut Schöpfungsgeschichte der erste Mensch, also müsste Eva aus ihm entstanden sein. Der Hermaphrodit zeigt alle Körpermerkmale in einem makellosen Zustand – sowohl weibliche als auch männliche. Das Fehlen von Körperbehaarung suggeriert die Unschuld und das Reine – eben den paradiesischen Zustand, in dem es keine Scham gab. Erst durch die Sünde kam die Scham in die Welt.
Für unser Gefühl von Identität ist der Körper enorm wichtig: Experimente zeigen, dass in dem Augenblick, in dem ein Proband das Wort „Ich“ denkt, jene Areale im Gehirn besonders beansprucht werden, die für das Körperempfinden verantwortlich sind. Der Text links oben aktiviert im Betrachter diese Areale, wodurch es zu einem Identitätsabgleich vom Dargestellten mit sich selbst kommt und demnach auch bei einigen Menschen zu einer massiven Ablehnung und Irritation. Das Bild passt mit unserem Selbst nicht zusammen und die Elemente der Darstellung nicht mit unserem eigenen Körpergefühlen und auch nicht mit unserem Wertesystem.
Fazit
Die Verknüpfung des Surrealen mit dem Realen sowie der „Ich bin“-Botschaft unterstreicht mehr die Extravaganz und eine Form des Narzissmus als die Toleranz. Folge der Irritation ist die Ablehnung und nicht der gewünschte Prozess der Bewusstmachung unterschiedlicher Lebensweisen, für die der Life Ball auch eintritt. Das „Ich“ grenzt aus und ab, in diesem Fall provoziert es zudem und ruft durch Obszönität – durch den Angriff auf unser Wertesystem – zum Kampf mit dem „Normalen“ auf. Eine Botschaft und Lösung in Richtung Integration und Toleranz hätte durch eine kleine Veränderung im Text stattfinden können: „Ich bin Adam. Ich bin Eva. Ich bin wie ich bin.“ Es geht nicht um das, was ich darstelle, sondern vielmehr wie ich bin. Und dadurch wäre der Fokus von den körperlich-sexuellen Eigenschaften hin zur Toleranz auf einer intellektuell-psychologischen Ebene geschaffen worden.