Bildsprache, schwere Sprache

„Ekelerregender #Antisemitismus von @berlitz_de – ich bin angewidert, sprachlos, wütend!“, so der Tweet von Ursula R. am 4. Juli 2017. In der Art folgten noch mehr und ergaben in Summe einen Shitstorm zu dem abgebildeten Sujet der Berlitz Sprachschule. Welche Zeichen führen zu dieser Dekodierung und dem Empören? Handelt es sich um eine Überreaktion Einzelner oder ist die Entrüstung berechtigt?

Bedeutung und Zusatzbedeutung

In jeder Kommunikation geht es nicht nur darum, was man sagt, sondern wie man es sagt. In der Semiotik sprechen wir von Denotation – das, was sichtlich vorhanden ist – und der Konnotation – was auf der unbewussten Ebene noch mitschwingt, die Zusatzbedeutungen, die durch Zeichen, deren Kombination und den jeweiligen Kontext bestimmt werden. Gerade in der Werbesprache hat alles Wahrnehmbare eine Bedeutung im Dekodierungsprozess. In der Werbung entstehen Zusatzbedeutungen vor allem auf der Bildebene oder in Kombination mit dem Text.

Bilder sind gewaltige Bündel an Informationen und Emotionen. Starke Bilder docken an unbewusste Schemata an, an gespeicherte Erfahrungen, Emotionen und Werte. Wir sprechen dann von semantischen Implikationen. Dies bedeutet, dass das Bild eine ganze Story im Kopf auslösen kann, zusammen mit Gefühlen und Empfindungen. Während wir Sprache kognitiv erfassen, verarbeiten und dekodieren wir Bilder emotional und unbewusst. „Bilder sind Schnellschüsse ins Gehirn.“, sagt Prof. Dr. Christoph Burmann, Marken-Experte der Universität Bremen. In Kombination mit dem Text werden die Emotionen quasi an die Oberfläche ins rationale System katapultiertund führen zu einer kritischen Beleuchtung.

False friend – false massage

„Enjoy life in full trains“ ist ein sogenannter False Friend. Darunter versteht man Wörter oder Redewendungen, die im Deutschen anders verwendet werden als in der direkten englischen Übersetzung. Die korrekte englische Übersetzung bedeutet, dass man das Leben in vollen (fahrenden) Zügen genießen soll. Somit wird die Interpretation der Gesamtbotschaft gelenkt. Wir sehen einen unscharfen Hintergrund und auch einen sich bewegenden Zug – dies ist die Referenz zum Text und damit die Dekodierungsanweisung. Im linken Bereich des Bildes sehen wir Menschen ebenso unscharf in Bewegung dargestellt. In einem blauen Kästchen ist der Text als Zitat lesbar.

Hauptakteur ist ein Mann mit markanten Gesichtszügen rechts im Bild. Er hat eine lange  Nase, einen Vollbart und dichte Augenbrauen. In der Wahrnehmung der empörten Rezipienten ist dies ein Mann jüdischer Herkunft. Ist das übertrieben?

Nicht wirklich, denn in unseren Köpfen haben wir Bilder abgespeichert, die wir automatisch und unbewusst entsprechenden Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten zuordnen. So können bestimmte Charakteristika, wie eben eine auffällige Nase als „Judennase“ entschlüsselt werden. In Kombination mit schwarzen, lockigen Haaren, einem schwarzen Hut, dichtem Bartwuchs und dichten Augenbrauen festigt sich unser Eindruck. Die Brille verleiht ihm zudem Intellekt und die Kleidung deutet auf eine gut situierte Person hin.

Wenn auch die einzelnen äußeren Merkmale des Mannes nicht exakt mit denen von Männern jüdischer Herkunft übereinstimmen, erkennen wir dennoch eine starke Ähnlichkeit und ordnen ihn diesem zu.

Betrachtet man die Körperhaltung des Hauptakteurs, so vermittelt er mit seinen nach oben gehobenen Händen Ratlosigkeit, Unverständnis und auch Verunsicherung. Seine Mundwinkel sind stark nach unten gezogen, die Augen aufgerissen und die Augenbrauen hochgezogen. Dies sind klare Zeichen eines überraschten Unverständnisses in einer nicht einordenbaren Situation.

Die Bildbotschaft steht in einer starken Verbindung zum Text: „Enjoy life in full trains“ wird damit zur Ursache für die Reaktion des Mannes. Absender der Aussage ist nicht der Hauptakteur, sondern ein Absender aus dem Off – die Berlitz Sprachschule. Und damit befinden wir uns sehr ungeschickt in einer antisemitischen Dekodierung aufgrund der Bild-Textkombination.

Fazit

So wie es zwischen Deutsch und Englisch falsche Übersetzungen gibt, scheint es diese auch in der Bildsprache zu geben. „Genieße das Leben in vollen Zügen“ ist aufgrund des jüdisch konnotierten Hauptakteurs eine Anspielung auf die Deportation der Juden (in vollen Zügen). Eine Optimierung der Botschaft wäre klar durch einen neutralen Akteur zu erwirken. Dass im Hintergrund ein Zug zu sehen ist, erleichtert das Verstehen, dass die Aussage falsch verwendet wird.