Eine Nachlese zum Business Breakfast von comrecon und meinungsraum.at
Am Mittwoch, den 02.09.2015 haben wir im Management Club auf der Wiener Kärntner Straße gemeinsam mit meinungsraum.at die Methodenkombination des digitalen Facial Action Coding Systems (FACS) mit der Semiotischen Analyse vorgestellt. Sprich: Was in der Werbebotschaft löst Emotionen aus (FACS) und welche Elemente in der Botschaft (Semiotik) sind dafür verantwortlich?
FACS – Von Mimik, Emotionen und Action Units
Theoretischer Abriss: FACS ist ein Instrument zur Klassifikation menschlicher Gesichtsausdrücke. Diese werden im Moment ihres Aufblitzens fotografisch oder auf Video festgehalten und danach analysiert. Um von Gesichtsausdrücken auf Emotionen schließen zu können, werden die einzelnen Bewegungen (z. B. „Nase rümpfen“, „Augenbrauen hochziehen“) als sogenannte „Action Units“ (AU) klassifiziert.
Ursprünglich wurde dieses Verfahren entwickelt, um körperliche und psychische Schmerzen bei Menschen genau spezifizieren zu können. Außerdem ist der Bereich der Verhaltensforschung ein wichtiges Einsatzgebiet des FACS, um die Erscheinungsformen von Empathie (erkennbar durch Blickzuwendung, Hilfeverhalten und erniedrigter Herzfrequenz) herauszufinden.
Auch für die qualitative Marktforschung ist das FACS von großer Bedeutung, weil es uns ermöglicht, „hinter Fassaden zu blicken“: Wir können weitreichende Aussagen zum Verhalten und zu den Eigenschaften einer Person treffen, indem wir ihre Mimik und die Emotionen decodieren. Beim FACS können personenbezogene Eigenschaften aus vier Quellen berücksichtigt werden, nämlich der Person selbst, der Situation, dem Selbst und der Beziehung. Denn Menschen beeinflussen sich immer gegenseitig, nehmen sich also interpersonell wahr. Wir sind uns jedoch bewusst, dass vor allem die Dualität zwischen Person und Situation in der qualitativen Marktforschung interessant ist, da wir herausfinden wollen, wie unterschiedliche Werbebotschaften und Marketingstrategien situativ auf Personen wirken und was sie in ihnen auslösen.
Wir finden nicht nur heraus, ob der Spot das tut, was er tun soll, sondern auch, ob er so funktioniert, wie er gedacht wurde!
Grundlage für die FACS sind die sieben Basisemotionen nach Paul Ekman (dem Begründer der neurokulturellen Theorie der Emotionen), die sich an folgenden mimetischen Regungen zeigen:
- Furcht (Augenbrauen gehen nach oben, die Augen sind weit aufgerissen, die Nase leicht hochgezogen, die Mundwinkel werden auseinandergezogen).
- Überraschung (Augen sind weit aufgerissen, die Wangen angespannt, der Mund leicht geöffnet)
- Verachtung (Oberlider hängen herunter, der Blick ist starr, die Wangen gehen leicht nach oben, nur ein Mundwinkel wird angehoben).
- Trauer (Oberlider und die Mundwinkel hängen nach unten, der Blick ist starr, die Wangen schlaff).
- Wut (Augenbrauen sind heruntergezogen, die Augen zusammengekniffen, die Nasenflügel stehen weit auseinander, die Lippen werden mit Druck geschlossen).
- Ekel (Oberlippe ist hochgezogen, die Unterlippe schiebt sich nach vorn, es kommt zu sichtbaren Falten zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln, die Nase ist hochgezogen).
- Freude (Stirn ist entspannt, es bilden sich Lachfältchen, die Wangen sind angehoben, die Nasenflügel auseinandergezogen, die Mundwinkel gehen nach oben).
Diese Basisemotionen sind die Grundlage für jede Analyse mittels FACS. Die genaue Aufzeichnung der Mimik gibt hierbei Ausschluss darüber, welche Gefühlsregungen nicht zu verbergen sind. Für die Analyse einer Werbebotschaft ist es jedoch notwendig, nach dem „Warum” der hervorgerufenen Emotion zu fragen: Dies ist ist der Grund, warum die Semiotik unerlässlich ist.
Semiotik – Von Zeichen, Codes und Bedeutungen
Theoretischer Abriss: Mimik und die daraus abzuleitenden Emotionen setzen Zeichen – egal ob bewusst oder unbewusst. Dies ist die Verknüpfung zur Semiotik, der Wissenschaft der Zeichen(-systeme): Eine Emotion ist eine Reaktion auf bspw. das Verhalten des Gegenübers, aber auch auf audiovisuelle Eindrücke wie z. B. ein TV-Spot des neuesten Parfüms. Daher eignet sich das Verfahren des FACS als eine Erweiterung der Zeichenanalyse in Werbebotschaften. Egal ob es sich dabei um statische Werbesujets oder um längere Spots handelt, durch die Entschlüsselung der Mimik eines Testimonials oder Darstellers können bei Rezipienten entstehende Emotionen antizipiert werden. Somit ermöglicht FACS eine weitere Analyseebene, die Objektivität und somit den wissenschaftlichen Anspruch unserer Arbeit erhöht: Wir können einerseits die Zeichenvielfalt von Werbebotschaften selbst erforschen und andererseits herausfinden, in welcher Art und Weise Menschen situativ darauf reagieren. Somit können etwaige Ungenauigkeiten im Vornherein eliminiert und Analyseergebnisse präzisiert werden.
FACS & SEMIOTIK – Wenn Reaktionen und Emotionen erklärbar werden
Für das Business Breakfast haben wir einen Case erstellt: die Analyse des TV-Spots „Grüß‘ Gott in Prag!“ mit Karel Gott mit den Erkenntnissen aus FACS in Kombination mit der Semiotischen Analyse:
Die FACS wurde von meinungsraum.at mittels „Affdex” übernommen. Bei diesem Programm handelt es sich um einen „lernenden Algorhythmus”, der bislang über 2,6 Mio. Gesichtsausdrücke analysiert hat und diese in die Emotionsmessung bei der Konsumentenwahrnehmung übernimmt. Daraus wird der „Affdex Score” ermittelt, der das zusammengefasste emotionale Engagement für eine Werbung/einen Spot widerspiegelt. Beim Spot der ÖBB war dieser Wert mit 74 überdurchschnittlich hoch und weist darauf hin, dass diejenigen, die am stärksten durch den Spot emotionalisiert wurden, am ehesten das Angebot der ÖBB-Sparschiene wahrnehmen.
Der „Star“ des Spots ist laut FACS eindeutig Karel Gott, auch wenn die drei untersuchten Altersgruppen unterschiedlich auf den Spot reagieren: Die 16-29-Jährigen weisen von Beginn des Spots weg die höchste (positive) emotionale Involvierung auf. Die 30-49-Jährigen ziehen hier erst mit dem Auftauchen von Karel Gott gleich. Davor sind sie bei weitem nicht so positiv emotional ergriffen. Die 50-70 Jährigen erleben den kreativen Teil (Comedians & Karel Gott) emotional eher nicht positiv; sie sind aber über den ganzen Spot hinweg wenig ergriffen.
Wir haben an dieser Stelle also eine Benchmark, die uns zeigt, dass die RezipientInnen überdurchschnittlich positiv und je nach Altersstruktrur unterschiedlich auf den Spot reagieren. Doch die Frage nach den Gründen kann ohne die semiotische Analyse nicht beantwortet werden. Hierfür ist es wichtig, die Akteure mitsamt ihrer Rollen sowie die Botschaften und die Zielgruppenansprache zu untersuchen.
Der Gesang ist das saliente – also das aufmerksamkeitslenkende – Zeichen der Werbebotschaft. Es setzt den Anker für die weitere Bedeutungsinterpretation. In den ersten Sekunden des Spots wird bereits die Botschaft transportiert: Es geht um das Bahnfahren von Wien nach Prag und das sehr günstig.
Der Gesang der beiden Männer erregt Aufmerksamkeit. Entweder kennt man kennt das Lied oder es fällt auf, weil es nicht zum aktuellen Musikschema passt.
Der Akzent der beiden deutet auf eine Ost-Sprache hin. Der Prag-Reiseführer untermauert dies. In der ersten Szene des Spots wird das Thema fixiert: die Reise nach Prag im railjet.
Die beiden steigern sich in ihrer Gestik und Mimik in den Gesang und lenken damit die Aufmerksamkeit.
Die Hände von DeLuca sind offen und damit einladend für den Zuseher.
DeLuca in Großaufnahme platziert das günstige Angebot: „… ganz wenig Geld.“
An seinen Mundwinkeln sieht man die leichte Überlegenheit – er ist clever, weil er das günstige Angebot nutzt: der rechte Mundwinkel ist leicht nach oben gezogen, Asymmetrie entsteht.
Betont wird dies durch das Anheben der Augenbrauen – ein Illustrator, der einer weiteren Akzentuierung dient.
Es wird klar, dass die Destination Prag ist, der railjet wird in Szene gesetzt: Langsam und bedächtig fährt der Zug in den Bahnhof ein.
Stabilität und Größe werden demonstriert.
Die Kamera bewegt sich mit den Akteuren, der Zug bewegt sich. Der Gesang wird lauter und intensiver.
Der Zug ist (bis auf einen Mann hinter DeLuca) leer – der Fokus ist auf den beiden Akteuren, keine Ablenkung.
Der Gesang erregt also auch keine Aufmerksamkeit bei dem Mann – es bleibt eine in sich geschlossene Handlung. Der Spot hat komödiantische Züge.
Die Hauptdarsteller sind wichtig, nicht das Umfeld.
Bei „… geträumt“ steigt Fälbl aus dem Zug aus. Das tut er beschwingt und mit heftiger Gestikulation.
Er ist völlig mit seiner gesanglichen Darbietung beschäftigt.
Eine Frau im Hintergrund ist kaum wahrnehmbar und sie bemerkt die beiden Akteure auch nicht.
Beim arienartigen Ausklang von „geträumt“ hebt er die Arme wie ein Opersänger. Es ist der Höhepunkt des Gesanges, der an dieser Stelle auch zu Ende ist.
Fälbl erblickt etwas, sagt: „Oh, Gott!“: An diesem Punkt ist die Spannung am höchsten – was passiert am Bahnhof?
Die Überraschung in seinem Gesicht ist gedämpft und nur am Mund zu erkennen – bei den Augen gibt es keine Reaktion (wie ein Hochziehen der Augenbrauen oder ein Öffnen des oberen Augenliedes).
Die Einführung des dritten Akteures wird durch Fälbls Reaktion mit Spannung inszeniert. Die Verknüpfung von „Oh, Gott!“ und Karel Gott ist perfekt und völlig überraschend.
Karel Gott zeigt in seinen Gesichtszügen jedoch keine Überraschung: Er scheint diese Situation zu kennen. Er reagiert mit einer gelassenen Antwort: „Sie können ruhig Karel sagen.“ Hier ist die Pointe des komödiantischen Spots und damit auch der Höhepunkt in der Dramaturgie.
Die Geschichte entspannt sich und klingt an dieser Stelle aus.
Die beiden Hauptakteure erkennen ihren „Star“ aus Jugendtagen und rangeln sich um einen Handshake – vor allem DeLuca tänzelt wie ein kleiner Junge. Beiden sagen „Grüß Gott.“, was den Witz nochmals betont. Die beiden verhalten sich eher kindlich. Karel Gott hingegen ist ein in sich ruhender Mann, den nichts erschüttern kann. Die Männer sind alleine am Bahnsteig – auch hier wieder Fokus auf die Hauptstory.
Stille am Bahnsteig, Freude in Fälbls Gesicht. Karel Gott zeigt ein echtes Lachen, bewahrt dabei aber die Contenance.
Off: „Sieben Mal am Tag von Wien nach Prag.
Die rote Tafel mit der Preisinfo bewegt sich ins Bild. Ein langsames Drehen über mehrere Sekunden.
Im Fokus sind der Preis und die Destination; nicht die Geschwindigkeit des railjets.
Off: „Jetzt kommt Bewegung rein. ÖBB.“ Die Buchstaben des Logos fliegen (sich leicht drehend) herein. Der Claim blendet sich ein und das Soundlogo untermalt die Textinfo. Es sind knapp 9 Sekunden reine Information wahrzunehmen – die Emotionalität bricht ab.
Die Info wird am Ende eingeklammert von der komödiantischen Geschichte – die letzte Abschlussszene am Bahnhof mit den drei Akteuren: Das Selfie statt einem Autogramm. Hier wird auch der Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart gespannt.
Das Gesicht von Karel Gott wirkt nun etwas unentspannter als zuvor. Es ist keine Freude mehr zu erkennen. Er bleibt in seiner seriösen Rolle.
Zur Dramaturgie des Spots
Der Spot erinnert an eine Komödie, genauer an eine Posse, in der das Heitere im Vordergrund der Erzählung steht und durch witzige Zufälle und unwahrscheinliche Übertreibung der Witz erzeugt wird.
Die Posse wird durch Gesang in ihrer Komik gehoben. Es wurde dabei auf die Form des Couplets zurückgegriffen: ein mehrstrophiges, witziges Lied mit markantem Refrain.
Das (eventuell nicht jedem) bekannte Lied „Einmal um die ganze Welt“ aus dem Jahr 1970 von Karel Gott wird textlich abgewandelt und erhält somit im Kontext des Bahnfahrens seine Komik
- Statt „Einmal um die ganze Welt“ singen die beiden Akteure „Einmal Prag, weil es uns gefällt“ und setzen damit den ersten emotionalen Informationsanker
- Statt „und die Taschen voller Geld“ singen sie „und das für ganz wenig Geld“ und zeigen damit, dass man auch mit wenig Geld die Welt – oder hier: Prag – bereisen kann.
Der Spot hat einen aufmerksamkeitsstarken Einstieg, einen Höhepunkt und ein Happy End.
Dazwischen ist quasi der Abspann – dieser zeigt, worum es eigentlich geht, nämlich die Bewerbung eines
Produktes mit einem klaren Preisangebot.
Zielgruppenansprache
Männer identifizieren sich weniger mit dem Spot aufgrund der kindlichen Darstellung der Hauptakteure.
Frauen können sich dem Humor zur Gänze hingeben.
Junge Menschen kennen eventuell Karel Gott und das Lied nicht mehr, was in dieser Story jedoch unerheblich ist, da die Art des Gesanges und der Text für den Verstehensprozess und das komödiantische Moment ausreichend sind – gerade die Schemadurchbrechung erreicht bei Jüngeren mehr Witz und Auffälligkeit.
Ältere Personen kennen Karel Gott und das Lied ist möglicherweise schon leicht nervig, da man es früher (zu) oft gehört hat. Daher ist das Überraschungs- und Aktivierungsmoment nicht so hoch wie bei jungen Personen.
Fazit: Eine klare Botschaft im komödiantischen Kleid
Der auffällige Gesang und damit auch das Anknüpfen an bestehende Erinnerungen (Lied), die Dramaturgie und die mehrmalige Platzierung der Information der Destination auf Bild- und Textebene machen die Botschaft nicht nur verständlich, sondern auch einprägsam.
Der Spot fokussiert klar das Wesentliche – es gibt keinerlei Zusatzinfo im Hintergrund (keine weiteren Akteure in der Bahn oder am Bahnsteig, keine weiteren Zeichen oder versteckten Informationen). Was wir sehen ist, was wir auch bekomme, nämlich absolute Klarheit und Transparenz gepaart mit der Leichtigkeit des Lebens, da man sich Träume auch günstig erfüllen kann.
Die Akteure sind klar in ihren Rollen Sowohl die beiden Hauptakteure Fälbl und DeLuca bleiben ihren Rollen treu als auch Karel Gott, der in seinem Verhalten nachvollziehbar und dennoch sympathisch und offen wirkt.
Die ÖBB ist der Absender der Botschaft, der diese Situationen überhaupt möglich macht. Dadurch wird das Bild des Unternehmen positiv geprägt.
Im FACS zeigt sich, der der Spot unter den Top 10 rangiert und die Betrachter emotional erreicht. DAs die Emotionalität am Ende abreißt ist klar, da reine Information keine Emotionen hervorruft. Und der Abbinder am Ende ist wichtig, damit die Botschaft mit der ÖBB verknüpft werden kann – die Emotionskurve geht dabei nochmals leicht nach oben.
Manfred Oschounig, Geschäftsführer der ÖBB-Werbung GmbH, untermauerte aus Unternehmenssicht, dass der Spot auf mehreren Ebenen arbeite und dass es vor allem darauf ankomme, dass die Bedeutungsebene „funktioniere“. Die Kombination der beiden Analysemethoden haltet er für absolut wertvoll und zielführend, um wichtige Entscheidungen zu treffen, wie z.B. ob man sich den Abbinder nicht doch sparen sollte.
Wir können schließlich nicht davon ausgehen, dass die Realisation eines TV-Spots auf allen (Bedeutungs-)ebenen so reibungslos wie in diesem Beispiel der ÖBB funktioniert. Ein großes Dankeschön an alle Interessieren für die spannenden Fragen (eine weitere Nachlese gibt es von Nachlese meinungsraum.at und leadersnet.at). Wir hoffen, einmal mehr gezeigt zu haben, dass unsere semiotischen Analysen und der systemische Ansatz keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung zur Kreation neuer Inhalte und zur Optimierung darstellt.