Design oder nicht Design?

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Was ist Design? Wo ist die Grenze zu Grafik? Um diese Frage(n) beantworten zu können, nehmen wir als Ausgangspunkt die Diskussion „Design trotz Marketing“ von designaustria und dem Marketing Club Österreich. Diese brachte am 4. Mai 2015 Vertreter aus Design und Marketing zusammen, um den Stellenwert von Design zu klären.

Wir wollen weitergehen und fragen: Inwiefern sind Marken ein Design-Thema?

„Design trotz Marketing“ – Impressionen des Events

Am Podium saßen Ulf Schöttl (Manner AG), Bettina Steindl (designaustria/designforum Wien), Severin Filek (GF designaustria), Oliver Heiss (Brainds), Barbara von Rechbach (Werbe Akademie) und Rudolf Greger (GP designpartners).

Unsere wichtigsten Insights der vier Speaker in Kürze:

  • Trotz ihrer Unsichtbarkeit sind Designagenturen wichtig für Unternehmen, weil ihre Innovationen im Bereich der Kreativbranche wertvoll für Unternehmen und Marktteilnehmer sind.
  • Wir müssen den Designer und andere Kreative ernst nehmen und ihnen die Möglichkeit geben, sich selbstbewusst und klar positionieren zu können.
  • Die Zusammenarbeit mit Designagenturen ist nicht nur notwendig, sondern geradezu essenziell: Designer, Marketer, Techniker und Produzenten müssen (gemeinsam) nach den besten und innovativsten Ansätzen suchen.
  • Desginer und Designagenturen besitzen oftmals auch strategische Kompetenzen.
  • Nachwuchs-Designern muss eine Stimme gegeben werden. Wir müssen sie nicht nur fördern und fordern, sondern einbinden.

Marketer denken, dass sie die Codes der Branche am besten kennen. Und sie wissen auch, was Markt und Konsument brauchen. Laut Oliver Heiss hat Design die Aufgabe, Strategie zu sein, die Lösung zu liefern. Leider wird das vom Marketing nicht so gesehen. Das Vorurteil regiert: Werbung verkauft, Design nicht. Was leider allzuoft übersehen wird ist, dass Design eine Querschnittdisziplin ist und damit das Gesamtsystem der Marke oder des Produktes berücksichtigt.

Aus unserer Sicht ist die Identitätsfindung einer Marke ein klares Design-Thema!

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Was ist „Design“? – Begeben wir uns auf Zeichensuche!

Wir starten bei allem „Greifbaren“, also beim Produktdesign (Industrial Design), beziehen uns aber nicht nur auf Gegenstände, sondern auch auf Dienstleistungen, Logos u.a. Produkte eines kreativen Prozesses. Unser Schwerpunkt liegt – ganz im Sinne des ganzheitlichen Ansatzes von comrecon° – beim Semiotic Design.

Woher stammt die Bezeichnung „Design“? – Eine etymologische Herleitung

Eine erste Annäherung ist es, die Herkunft eines Wortes zu klären (Etymologie). Das lateinische „designare“ meint, etwas zu „bezeichnen“, und das über seinen eigentliche Bedeutung hinaus. Design hat immer Bezug zu seinen Anwendern und seinen Bedürfnissen. Es geht also – ganz allgemein und weitreichend ausgedrückt – darum, irgendetwas besonders, unverwechselbar und einzigartig für den Anwender zu gestalten. Wie aber muss man dies kontextualisieren?

Semiotic Design

Wir befinden uns bei unseren Analysen im Universum der Semiotik, also der Wissenschaft der Zeichen(-systeme). Kein Wunder, denn dieses aus dem Griechischen stammende Wort (σημαίνειν sēmaínein) bedeutet „bezeichnen“ oder „zum Zeichen gehörig“ und zeigt, dass nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände/Logos/etc. Botschaften kommunizieren.

Design klingt „besonders“. Wenn wir einem Gegenstand „Design“ zuschreiben, erhöhen wir seinen Stellenwert. Voraussetzung dafür ist, dass wir einen Wow-Effekt erleben, weil Zeichen gesetzt werden, die uns ansprechen. – Schon ist die Verbindung zur Semiotik geschaffen und wir sind bei einer ersten Definition für Design angekommen:

„Design is a general concept, reflected in the underlying quality of objects, actions and representations which various people make possible in a given culture and within a value framework. […] To design means, among other things, to plan, to anticipate according to a devised course of events in view of a goal and under the influence of environment.“
– Mihai Nadin, Semiotiker

Es geht also darum, „irgendetwas“ Struktur zu verschaffen und eine Bedeutung zu kreieren. Deswegen sind Designregeln immer semiotisch ambitioniert: Designen bedeutet, Zeichensysteme so zu strukturieren, dass sie dem Erreichen menschlicher Bedürfnisse und Ziele dienen. Anders gesagt: Es geht um Visionen. Es geht nicht darum, wie etwas ist; sondern wie etwas sein kann. Etwas zu designen bedeutet, eine Sprache zu erschaffen. Hierbei muss eine bestimmte Bedeutung innerhalb eines kulturellen Kontexts entwickelt werden.

Semiotic Design bedeutet: Im Entwicklungsprozess ist mir bewusst, dass alles Gestaltete viele Botschaften und Bedeutungen sendet. Der Designer muss es schaffen, ein Zeichensystem zu etablieren, das genauen, angemessenen und konsistenten Regeln folgt. Dies ist für uns ein grundlegendes Handlungs- und Analyseprinzip. comrecon° betrachtet Produkte, Marken und Codes immer mit dem Schwerpunkt einer ganzheitlichen semiotischen Analyse. Wir gehen davon aus, dass alles eine Bedeutung hat und jede Marke/jedes Produkt auf mehreren Ebenen kommuniziert. Ganzheitlichkeit in jeder Hinsicht verbindet uns mit der entwickelten Beschreibung des Semiotic Designs. Wir gehen den codierten Botschaften derer auf den Grund, die etwas „designt“ haben und fragen: Kommt das, was kommuniziert werden soll, auch wirklich bei spezifischen Zielgruppen an? Wo entstehen potentielle Störfaktoren und was funktioniert?

So, und jetzt? Das klingt alles schön und gut, aber Sie können nach dieser weit gefassten Beschreibung zurecht fragen: Design = Kunst?

Nein! Deswegen gehen wir jetzt den Unterschieden von Design und Kunst auf die Spur, um die Ausgangsfrage: „Was ist Design?“ weiter einzugrenzen. Außerdem: Denken Sie nicht auch an den Begriff „Grafik“, wenn wir ans Gestalten denken? Machen wir also einen kleinen Exkurs in die Designforschung, um auf dem aktuellsten Stand der Dinge zu bleiben!

Design, Grafiken und Kunst

Der Kunst- und Zeichentheoretiker Jakob Steinbrenner untersucht, inwiefern Design und Kunst miteinander verwoben sind. Seiner Meinung nach existiert Design dort, wo die funktionalen Merkmale eines Gegenstandes innerhalb eines ästhetischen Zeichensystems bewertet werden. – Ein Beispiel: Wenn ich meinen Kaffee aus einer Tasse der „illy Art Collection“ trinke, genieße ich den Prozess des Trinkens, weil das Unternehmen illy ein ästhetisches Zeichensystem geschaffen hat, welches das Kaffeetrinken als funktionalen Prozess hervorhebt, individualisiert und besonders macht: D.h. ich habe nicht das Gefühl, einfach nur Kaffee aus einer Tasse zu trinken (lesen Sie dazu auch unseren Blogbeitrag „The Art of illy„).

Auch hier wird die Verbindung zur Semiotik deutlich. Wir müssen etwas in Relation zu etwas anderem setzen, Zeichen vergleichen: Design und Nicht-Design gibt es nur im Rahmen eines ästhetischen Zeichengebungsprozesses.

Der Unterschied Kunst und Design liegt nun darin, dass bei „Design“ die praktische Funktion (eines Gebrauchsgegenstandes) unter ästhetischen Gesichtspunkten bewertet wird, wohingegen man bei Kunstwerken deren künstlerischer Ausdruck (und eben nicht ihre Funktionalität) fokussiert. Prof. Dr. Thomas Bäumer und Benjamin Dennig berichten ebenfalls über Wichtigkeit der Funktionalität und des symbolischen Nutzens bei Design, indem sie die Designdimensionen aus Konsumentensicht analysieren.

Ebenso wenig kann man Design mit Grafik gleichsetzen: Grafiken sind im Bereich des Marketings und der Medientechnik meistens Abbildungen, da diese meist mit dem technischen Hintergrund verschiedener „Druckverfahren“ in Verbindung gebracht werden. Das Wort selbst stammt aus dem Griechischen (γραφική [τέχνη], graphiké [téchne]) und bedeutet an sich „die schreibende/beschreibende [Kunst]“. Auch wenn Logos, Drucksujets, u.a. sicher im Sinne des Designs hinsichtlich des funktionalen Aspekts zu betrachten sind, können sie höchstens ein „Teilbereich“ des Designs sein und nicht mit diesem gleichgesetzt werden.

Praktisch bedeutet das: Grafiker visualisieren, Designer gestalten und entwerfen, sie artikulieren, drücken die Identität aus – und das nicht nur auf visueller, sondern allen Sinnesebenen.

Wer entscheidet, was Design ist und was nicht? Gibt es Institutionen, die Design fördern und untersuchen, welche Auswirkungen Design auf eine Gesellschaft haben kann?

Design in Schweden – Swedish Industrial Design Foundation (SVID)

In keinem europäischen Land ist man seit Jahrzehnten so darauf bedacht, die Bedeutung von Design so nachhaltig zu erforschen wie in Schweden (auch hier liegt der Fokus auf dem Industrial Design).

So hat die SVID eine eigene Definition von Design herausgebracht, die sich mit den hier erwähnten Annäherungen deckt, da auch hier das Prozesshafte hervorgehoben wird (genauere Informationen gibt es hier: SVID Definition Design).

 Man vertritt in Schweden die Ansicht, dass Design weitreichende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hat:

  • Design macht vieles verständlicher: „Endlich kann ich eine komplexe Technologie ganz einfach nutzen.“, z.B. im Bereich der Hörgeräteakustik.
  • Unternehmen, die langfristig in Design investieren, sind profitabler, weil Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite von funktionalisierter und ästhetischer Erscheinungsform profitieren.
  • Design im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen kann zukünftige Probleme lösen, weil PatientInnen in den Entwicklungsprozess verschiedener Produkte eingebunden werden.
  • Die SVID ist zudem Mitherausgeberin eines eigenen „Design Research Journals“.

Nachdem wir uns ausführlich mit der Entwicklung einer Designdefinition beschäftigt haben, können wir die weitrechenden Konsequenzen gelungenen Designs wie folgt zusammenfassen:

“Design can help to develop attractive regions, places and environments in which to live, build and work and visit.”

Was ist Nicht-Design? Die Grenzen einer offenen Definition

Ist denn nun jeder Gebrauchsgegenstand, alles „Funktionale“ gleich Design? So viel die Beschreibungen auch einschließen, so gibt es auch Grenzen.

Wir möchten zum Abschluss anhand einiger Richtlinien des „Benelux Office for Intellectual Property“ klären, wann wir in jedem Fall nicht von Design sprechen können.

Nicht-Design liegt vor, wenn…

  • …Produkte nicht neu sind oder keinen individuellen Charakter aufweisen.
  • …es sich allein um Ideen handelt. Sie müssen in einem Produkt entwickelt werden.
  • …allein die technische Funktion/der technische Fortschritt eines Produktes im Vordergrund stehen.
  • …gegen die allgemeinen Gesetze oder moralischen Prinzipien einer Gesellschaft verstoßen wird.

Aufgrund der variierenden Beschreibungen von Design wird empfohlen, Entwickeltes genau zu prüfen und gegebenenfalls zu schützen (den Markennamen, die Produktform und die technische Funktion etc.). Denn Design ist auch dort nicht, wo ein bestehendes Copyright oder eine eingetragene Marke kopiert oder in abgeänderter Form verwendet werden.

Auch wenn wir nicht „die Kreativen“ sind, unterliegen auch unsere Produkte einer eigenen Dramaturgie und Funktionalität; sie kommunizieren Botschaften, für deren Codierung wir verantwortlich sind.

Wenn Sie Erfahrungen zu diesem Thema gemacht haben, freuen wir uns auf eine spannende Diskussion.