Neuromarketing-Kongress 2014. Magic of simplicity?

The magic of simplicity – Kundenbegeisterung statt Consumer Confusion

Der Neuromarketing-Kongress 2014 am 22. Mai hatte ein sehr zeitgemäßes Thema. Es sollte die Frage beantwortet werden, wie man die Sehnsucht des Konsumenten nach Einfachheit bedient und so Vertrauen schafft. Wie schaffen wir es, den Gehirnen der Menschen leichter zu machen, die Marken-Botschaften wahrzunehmen und zu speichern?

Der Kongress bot aus meiner Sicht in diesem Jahr keine wesentlich neuen Insights, es wurden vielmehr Erkenntnisse aus einer anderen Perspektive dargeboten. Schade, denn gerade von dieser Disziplin erwartet man sich immer Neues – und wenn es spannende Cases von Unternehmen wären.

Der Einstieg von Prof. Dörner zum Umgang mit Komplexität wurde in einfachen Worten als Geschichte erzählt. Learnings: Die selben Handlungen haben nicht immer den selben Effekt. Warum? Weil sie immer von anderen Bedingungen abhängig sind. Das wissen wir auch schon aus der Systemtheorie. Und auch die Semiotik, die Wissenschaft der Zeichen und Bedeutungen, weiß, dass man Zeichen oder in diesem Fall Handlungen, nicht ohne den Bezugsrahmen oder Einflussgrößen bewerten kann. Es gibt immer Nebenwirkungen und Folgen. Wir sind Gewohnheitstiere und machen liebend gerne immer wieder die gleichen Dinge, weil sie sich bewährt haben, weil wir in der Vergangenheit damit gute Erfahrungen gemacht (gespeichert) haben. Dies nennt man auch Methodismus. Und dieser ist gefährlich, weil er uns Einschätzungsfehler machen lässt oder wie Nassim Nicholas Taleb sagen würde „Schwarze Schwäne“ erzeugt. Ich empfehle an dieser Stelle unbedingt das gleichnamige Buch von genanntem Autor, der sich darin mit der Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse befasst.

Was passiert in der heutigen Zeit: Komplexität nimmt zu, Connectivity ebenso. Dies macht die Nebenwirkungen des Systems so schwer voraussagbar und einschätzbar. Nichts hat an sich Allgemeingültigkeit, alles muss innerhalb eines Systems betrachtet werden. Ich hätte mich an dieser Stelle über mehr tiefgründigere Erkenntnisse aus der Wissenschaft gefreut. Auch eine philosophische Sichtweise wäre als Keynote spannend gewesen.

Die beiden Haufe-Mitarbeiter Jennifer Schmid und Bernd Werner hielten einen durchaus spannenden Vortrag in eigener Sache. Sie sprachen über ihre Methodik, um Markenkommunikation erfolgreicher zu machen. Es geht heute vor allem um unique selling feelings! Ja, wir müssen Emotionen schaffen! Sie untersuchten, wie sich der Zusammenhang zwischen Aktivierung und Emotion auswirkt und zeigten, dass das Marketing sich durchaus täuschen kann.

© comrecon

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Marketing will immer in das rechte obere Feld. Doch besser ist die Mitte. Ruhige Emotionen haben psychologisch positive Effekte, sie schaffen Markenbindung und Steigerung der Loyalität. Umso simpler die Werbebotschaft und umso mehr wir dem Gehirn helfen zu „sparen“, desto besser können wir diese verarbeiten und uns merken.

© comrecon

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Die simpelste Gestaltung einer fiktiven Werbebotschaft (siehe Bild) hatte die höchste Aktivierung und löste das meiste Wohlbefinden aus. Wir stressen Probanden zu sehr mit einem kognitiven (over)load in den Werbebotschaften. Wir haben nunmal nur maximal 2 Sekunden (ich glaube eher nicht mal 1 Sekunde) Zeit, damit die Botschaft durch den Autopilot-Filter hindurchkommen kann. Erst dann geschieht der Schema- und Relevanzabgleich: Brauchen/wollen wir das oder nicht?

Erkenntnis: Denken ist anstrengend, unser Gehirn liebt das Denken nicht. C.G. Jung sagte: „Denken ist schwer, darum urteilen wir meistens.

Umso wichtiger für die Markenbotschaften: simple, aber nicht einfach, verständlich und nicht nur auffällig. „Simple can be harter than complex.“ Steve Jobs.

Also: Denken Sie an Ihre single most important message. Und das mit Fokus auf Ihre Zielgruppe(n)!

Plädoyers für die Marktforschung kamen von Dr. Harschen und Prof. Dr. Schroiff. Es geht darum, Zielgruppen und Menschen zu er-kunden. Wir sollten herausfinden, was Menschen brauchen und was für die User einfach ist.

Prof. Dr. Schroiff machte seinen Titel zum Programm: Die Macht der einfachen Botschaft. Nicht viel Neues, aber gut zusammengefasst. 60-80% der neuen Produkte am Markt floppen nach einem Jahr. Man muss verstehen, dass Marken Beziehungspartner sind, die emotionale Orientierung geben. Das Angebot an den User muss also verständlich inszeniert werden. Nur durch consumer insights kann man relevante Themen identifizieren. Er positioniert auch Marken und Menschen auf der Limbic Map®. So schafft man richtig stimmige Kommunikation – der Meinung sind auch wir. Was wir in der Marketing-Praxis aber leider immer wieder vorfinden: Polytelie = Vielzieligkeit. Die Gründe für dieses Phänomen sind fehlendes Verständnis von Marken, Märkten und Zielgruppen. Marketing hat doch auch mal kein Ziel. Hier kann gute und richtige Marktforschung auch helfen, Orientierung zu schaffen. Wunderbar führt er aus, wie wichtig die Codierung und Inszenierung des Nutzenversprechens sind. Er spricht von „consistent backboning“, wir nennen das semiotische Markencodierung in allen Kanälen.

Humorvollen Gegenpart setzte Dieter Brandes, der groß angelegte Marktforschung mit komplexen Zahlen und Methoden  für völlig unsinnig hält. Ja, man sich auch zu Tode analysieren und sich in eine Big Data Hörigkeit verirren. Er rät mehr, den Hausverstand einzusetzen: Einfach mal nachdenken. Und wie sehr sprach er uns aus der Seele, als er vorschlug, Hotelbefragungen mal persönlich vom Management durchzuführen. Ein persönliches 5-Minuten-Gespräch bei einer Tasse Kaffee könnte sowohl mehr Insights als auch mehr Kundennähe bringen. Statt eines mehrseitigen Fragebogens allemal unterstützenswert. Wir sehen das auch so: Marktforschung sollte mehr dazu da sein, echte Bedürfnisse und Motive zu erfassen als momentane Seinszustände abzufragen.

Brandes zeigt auch anhand von Beispielen, dass Auswahl noch mehr verwirrt als dass sie nutzt. Sortimentsreduktion statt -erweiterung sollte das Ziel sein. Aldi hat weniger Auswahl erfolgreich gemacht – man muss nicht lange nachdenken. Komplexität birgt Ungewissheit, die Einfachheit im Sinne einer geringen Auswahl dafür die Gewissheit, was man tun bzw. kaufen muss. „Less is not more, just enough is more.“ Milton Glaser

Ein Highlight des Kongresses war aus meiner Sicht der Vortrag von Olaf Hartmann: The power of touch! Ja, multisensuales Marketing und Einbezug der Haptik in die Wahrnehmung von Produkten. Wenn wir es schaffen, Komplexität im wahrsten Sinnen des Wortes be-greifbar zu machen, haben wir einen großen Vorteil im Verkauf. Dazu haben wir uns am gerade richtigen Ort befunden: in der BMW Welt in München. Hier kann man Autos, Stoffe, Give aways und Vieles mehr angreifen und etwas damit tun. Schulkinder sind wie auf Drogen durch die Halle gerannt, um möglichst viel zu er-fahren und Emotionen zu sammeln. Das Umfeld verändert die Wahrnehmung des Produktes. BMW setzt den Markencode „Freude“ par excellence ein und um. Die Produkte erhalten durch die Größe der BMW Welt auch noch einen Überlegenheitskick, der Want-Faktor steigt um ein Vielfaches. Und hier eine wunderbare Zahl: Jeder zusätzlich kongruent (!) angesprochene Sinn erhöht die Gehirnaktivität um 1.000% und verdoppelt die Kundenloyalität. Länger berühren schafft mehr Emotion, mehr Eindruck und auch mehr Erlös. Lassen Sie Ihre Kunden Ihre Produkte be-greifen. Aber fordern Sie sie dazu auf, denn wir müssen ja erstmal unsere kulturell geprägte Berührungs-Hemmung überschreiten.

Das zweite Highlight des Tages war der Abschlussvortrag von Prof. Dr. Ullrich, seines Zeichens Kulturhistoriker und Kulturwissenschaftler und aus aus meiner Sicht (auch wenn er es nicht weiß) Semiotiker. Er hat wundervoll humorvoll, geistreich und eloquent Produkte in ihrer Bedeutsamkeit als Teufelszeug oder Ersatzreligion abgehandelt. Wunderbare Beispiele von der Neuauflage des adidas Sneakers „Stan Smith“, adidas Sport Massage Duschgel oder Gota Mineralwasser zeigten uns eindrucksvoll den Spirit, den Produkte und Marken haben können. Er analysierte Bilder auf flickr und tumblr, die User mit ihren adidas Stan Smith gepostet hatten. Die Personen hatten eindeutig ihr Lebensgefühl in den Vordergrund gerückt – genau das, wofür der Schuh schon in den 70er-Jahren stand und jetzt wieder als Emotion aufleben lässt.

© comrecon

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Produktdeisgn sagt uns, wie wir Produkte verwenden sollen. Waagen mit Zeiger hatten noch eine andere Funktion als Digitalwaagen heute. Eine solche Waage aus Glas ermahnt uns aufgrund ihres Designs schon zu mehr Disziplin – man hat Angst davor, sich daraufzustellen. Waagen sind zu unerbittlichen Richtern geworden.

Und hier noch ein gutes Wort für die Komplexität: Gute (kongruente) Komplexität schafft durch die vielen vorhandenen Bezüge ein stimmiges Gesamtbild. Stichwort: connectivity, ein Megatrend, den wir beobachten können.

Das adidas Sport Massage Duschgel ist ein wunderbares Beispiel für multisensuales Produktdesign.

© comrecon

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User werden auf mehreren Ebenen angesprochen: visuell durch den Namen, das Farbenspiel, das die Augen massiert sowie die Gelstruktur; haptisch:die Noppen der Verpackung massieren schon vor der Nutzung die Hände und das Gel an sich, das mit den Körnern die Haut massiert und auch der Geruch.  Für Produkte bedeutet dies in Zukunft noch mehr auf multisensory enhancement zu setzen, um die neuronalen Verstärker einzuschalten.

Die Aussagen der Vorträge von Dr. Kerkau und Dr. Rosenberg blieben mir leider verborgen. Ich bin nur nicht sicher, ob diese zu komplex oder doch zu einfach waren oder einfach den Nutzen und das Neue nicht transportiert haben … Von Dr. Rosenberg haben wir eine Auffrischung des Psychologie-Wissens bekommen: Wir agieren immer multioptionaler und nutzen viele Kanäle parallel. Das macht uns sprunghafter und illoyaler. Wir wollen die optimale Nutzenerfüllung, ohne in die Untiefen der Problemstellung einzudringen. Jeder von uns hat seine eigene Landkarte im Kopf, am stärksten wird diese im ersten Lebensjahr geprägt. Was heißt das: Wir müssen mehr noch die Imprints erforschen als rationale Fakten im Heute. Und dazu braucht man gute Markt- und Motivforscher.

Fazit

Teilweise alter Wein in nicht immer neuen Schläuchen. Einige Highlights, aber das Thema hätte noch mehr hergeben können, dafür erschien es manchmal zu stark simplifiziert. Zu wenig neue Erkenntnisse aus der Gehirnforschung. „The magic of simplicity“ war sehr unmagisch.

Das Buffet super, dieses Jahr von Käfer.

Meine Wünsche an den nächsten Kongress

  • Business Cases: Wer arbeitet mit Neuromarketing, warum, was hat es gebracht?
  • Echte neue Erkenntnisse aus der Gehirnforschung
  • Ein Hashtag, der nicht #neuromarketingkongress lautet und damit völlig twitterunfreundlich ist – erstaunlich, dass es auch nur so wenige Twitterer unter den Marketeers gibt …
  • Ein Feedbackbogen, der nicht unlimbisch und old-fashioned 17 Fragen auf 3 Seiten beantwortet wissen will

Wer noch in den Twitter-Stream reinlesen will: #neuromarketingkongress.

Wir tweeten unter @comrecon und @charlotte_hager