Immer wieder herrschen Diskussionen um die Bedeutung der Markt- und Meinungsforschung. Immer wieder kommt die Frage, ob qualitative Forschung denn „repräsentativ“ sei. Und ob denn so wenige Leute eine Aussage treffen können. In der semiotischen Analyse wird es noch schlimmer: Hier bewertet gar nur eine Person, was Sache ist – der Semiotiker. Wie kann denn das funktionieren?!
Um all mit all diesen Voruteilen aufzuräumen, hier einige Zeilen dazu:
Die quantitative Marktforschung hat sich in den letzten Jahren immer mehr verfeinert, viele statistische Methoden und Verfahren sind möglich, um Zielgruppen zu clustern, zu zerpflücken und zu wissen, wie viele da draußen was über die Marke denken.
In der qualitativen Marktforschung liegt der Fokus auf dem Verstehen! Dem Verstehen des Konsumentenverhaltens, den seltsamen Motiven für diverse Handlungen. Konsumentenverhalten kann man nicht messen, man kann es nur rekonstruieren. „Krisen“ führen dazu, dass sich das Verhalten der Menschen „plötzlich“ ändert, man spricht vom Wertewandel und neuen Verhaltensmustern. Immer mehr stürzen Vertrieb und Marketing nahezu in die Verzweiflung, wie sie nun mit Zielgruppen umzugehen haben – und wer ist die Zielgruppe überhaupt? Seit Jahren sprechen wir vom hybriden Konsumenten oder der multiplen Persönlichkeit. Wir müssen erkennen, dass sich die Gesellschaft und damit das Verhalten verändert hat. Gut Situierte kaufen heutzutage ebenso bei Diskontern wie Hofer oder Liedl, wie schlechter Verdienende. Männer übernehmen Aufgaben, die früher der Frau zuteil wurden, Ältere werden trendiger, Jüngere bestehen auf traditionellen Werten. Also, was tun?
Konsumenten haben je nach Kontext unterschiedliche Bedürfnisse und Motive. Das heißt, Konsumenten agieren aus dem Kraftfeld des Marktes. Im Bereich der Fortbewegung suchen sie die Geschwindigkeit und fahren Sportautos, im Bereich des Entspannens jedoch bevorzugen sie die ruhigen Bergwanderungen.
Wir sind alle von unbewussten Motiven getrieben, derer wir uns nicht bewusst sind und die man somit auch nicht abfragen kann.
Die Lösung ist die qualitative Marktforschung, deren Anliegen das Verstehen ist. Um Menschen zu verstehen, müssen wir nicht nur mit ihnen reden und in ihren Alltag eintauchen – ein Teil von ihnen werden -, sondern auch den Kontext erkennen. Ein Beispiel: Welchen Zugang haben Menschen zu ihrem Energieanbieter? Wieso gewinnt immer der billigste Anbieter? Weil der Kontext – Energie – kein gefühlter, gelebter für den Großteil von uns ist. Strom kommt immer mit 220 Volt aus der Steckdose, egal ob Atomstrom oder Strom aus Wasserkraft. Hauptsache, wir zahlen wenig. Um von einer preisgetriebenen Diskussion wegzukommen, ist es notwendig herauszufinden, welchen Zugang die Menschen zum Thema Energie haben. Ritualisierte Verhaltensmustern müssen erkannt und aufgedeckt werden, um Verständnis zu entwickeln. In Deutschland hat ein Anbieter aus diesem Grund die EnerCity ins Leben gerufen – Energie erlebbar machen und Verbraucher emotional an die Marke binden. Das Eindringen in den Alltag der Personen ermöglicht ein Verstehen der Wirklichkeit des Verbrauchers. Es ist auch wichtig, die „Sache“ selbst (den Markt) zu kennen und zu verstehen. Wie hat sich Energie entwickelt und welchen Zugang haben wir zu ihr?
Es gilt also die Frage: Was macht die Marke oder das Produkt mit den Menschen? Und was brauchen diese in ihrem sozialen und kulturellen Kontext?
Noch ein Beispiel aus einem semiotischen Blickwinkel:
Warum „brauchen“ so viele das iPad von Apple? Ist das iPad ein technologischer Fortschritt? Nein. Es ist weder Computer noch Telefon noch Musikplayer. Was ist das iPad und warum will man es unbedingt haben? Das iPad verleiht dem User „Macht“ und Freiheit. Er erschließt sich die Welt wo immer er möchte – und das mit einigen Fingerwischern über eine Glasoberfläche. Alles wirkt einfach und logisch und dennoch vermittelt es Souveränität. Dinge können vergrößert werden, man kann sie verschwinden lassen. Apps ermöglichen einen raschen Zugang zu neuen Welten, die anderen verborgen bleiben. Das hat schon etwas beinahe Göttliches. Man beherrscht die Dinge. Der angebissene Apfel – das Logo von Apple – erinnert auch ein wenig an den Sündenfall. Man könnte also annehmen, dass der Apple-User vom Baum der Erkenntnis nascht. Frühere Kampagnen mit Think different haben dies ja auch untermauert. Und Steve Jobs? Er kommt und verheißt das Begehrenswerte. Ein iPad hat aber auch den Vorteil, dass es schick ist. Es ist ein Schmuckaccessoire und kein klobiger Computer. Es ist schön und man zeigt es gerne her. Technik integriert sich in den Alltag und wird damit zum Unverzichtbaren Begleiter.
Marktforschung kann also vielmehr als bloße Torten- und Balkengrafiken zu erzeugen. Marktforschung ist das Mittel zur Erkenntnis und zu unbekannten Welten. Wissen ist Macht.
Auf Ihre Kommentare freut sich Ihre Charlotte Hager von comrecon°.