VW ringt um eine Positionierung abseits des Skandals und will mit seinem neuen Image Commercial zeigen: Es geht um mehr als eine Dieselaffäre.
Wir haben ihn alle noch in Erinnerung
Den Abgasskandal rund um VW im September letzten Jahres. „Das Auto“ verlor seine Glaubwürdigkeit durch betrügerisches Verhalten – wie es scheint – durch einiger „Verräter“ innerhalb des Konzerns – Rückrufaktionen, Entschuldigungen, Personalrochaden und die Suche nach Schuldigen waren die Folgen. Nun, da einige Zeit vergangen ist, schlägt VW den Weg einer neuen Positionierung ein: Die Sicht auf die Marke wird verändert – und das aus semiotischer Sicht gesehen sehr geschickt.
Der wesentlichste Zug ist die Änderung des Fokus des Betrachters
Wir schauen nicht auf das Auto, sondern auf die Menschen, die es nutzen. Der inszenierte Held ist ein rothaariger Junge, den wir beim Älterwerden erleben. Dabei durchlebt er Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens. Die sich wechselnden Automodelle bilden den Frame und damit den sinnstiftenden Rahmen einer schlüssigen Erzählung: Dadurch wirkt der Spot auch nicht generisch wie so manch anderer, der derzeit auf schöne Bilder setzt. Und als Betrachter haben wir bei dieser Erzählform keine Chance, diese Geschichte anzuzweifeln. Sie wirkt real und der eine oder andere wird sich darin wiederfinden.
Wir sehen emotionale Momente, in die man sich hineinfühlen kann: auf der Rückbank bei den streitenden Eltern, am Weg zum Krankenhaus oder einfach auf der Landstraße. Sie sind bewusst austauschbar, um gelernte und emotional besetzte Situationen mit der Marke VW zu verknüpfen. Alles spielt sich in diversen VW Modellen ab und hat damit einen direkten Konnex zur Marke.
„Es geht um mehr als ein Auto – es geht um einen Partner fürs Leben.“
So untermauert am Ende des Spots eine tiefe sanfte Männerstimme den Fokus, mit dem wir fortan VW betrachten sollen. Die Geschichte führt uns auch vor Augen, dass wir Menschen nicht immer nur Spaß haben und alles glatt läuft. Die Erlebnisse stehen synonym für eine ebenso durchwachsene Markengeschichte. Und sie sind ein Appell an unsere Vernunft, denn jeder baut mal Mist – hervorragend, um Verständnis auf einer empathischen Ebene aufzubauen. „I’ll be your home“ wird in Bildsprache übersetzt – vom Streiten übers Lachen bis zum Kinder gebären.
Ein kleiner Schönheitsfehler
Bis dahin alles gut, aber man fragt sich vielleicht auch: Ist der Spot wirklich positiv für VW? Berechtigt, denn der Spot hat auch einen semantischen Schönheitsfehler, und der ist in der ersten Hälfte eingelagert: Der Hauptakteur wird zu Beginn eingeführt: der Junge auf der Rückbank. Wir sehen bedrückende Szenen im Auto wie den Streit der Eltern und die traurig und abwesend wirkenden Gesichter der Kinder dabei. Außen sehen wir Blätter zu Boden fallen.
Durch die melancholische Musik zu Beginn wirken die ersten 28 Sekunden leicht bedrückend. Erst in der Mitte, eingeleitet von einem Frauenlachen, wandelt sich der Spot. Die Musik wird dynamischer und der Spot wirkt positiver. Systemisch betrachtet wird erst das Bedrückende etabliert und gibt damit das Leitthema vor, bevor das Gute und Fröhliche gezeigt wird. Zu zeigen, dass VW ein Teil der menschlichen Entwicklung ist, ist positiv zu bewerten, jedoch sollte – dramaturgisch gesehen – die Turbulenz des Lebens in freudige Ereignisse eingerahmt werden, um einen positiven Gesamteindruck zu hinterlassen.
Fazit
VW hat gut daran getan, den Claim „Das Auto“ wegzulassen. Der Fokus auf das Produkt und seine Übermacht wäre im aktuellen Skandal-Kontext extrem negativ und würde sich so einer wahr-falsch-Zuweisung unterwerfen, die VW nur verlieren kann. Die Neupositionierung erzählt eine Geschichte entlang einer Zeitlinie, die klar macht, dass es VW schon sehr lange gibt und die Marke schon immer sehr emotional verankert war. Damit appelliert VW unbewusst auch daran, nicht immer nur rational zu entscheiden.
Der Spot ist zudem für all jene, die einen VW besitzen, eine Möglichkeit, kognitive Dissonanzen abzubauen: Nun weiß man wieder, warum man sich für einen VW entscheiden hat. Es geht nämlich um mehr als nur ein Auto.