Titelbild: Blick über Wien an Silvester | © panoramarestaurant.at
Silvester in aller Welt – ein Abend und viele Rituale in verschiedenen Kontexten. Wir fragen: Warum schenken wir den letzten Stunden des Jahres (zu) viel Bedeutung?
Sein Datum hat der letzte Abend des Jahres im Jahr 153 v. Chr. „erhalten“, als die Römer den Jahresbeginn vom ersten März auf den ersten Januar verschoben haben. Der Name Silvester (lat. „silva“ für Wald) stammt aus dem Jahr 1582, als eine Reformierung des gregorianischen Kalenders dafür sorgte, dass der letzte Tag des Jahres vom 24. Dezember auf den 31. Dezember verlegt wurde, weil letzterer der Todestag des Papstes „Silvester I.“ war. Silvester ist demnach bereits lange im Brauchtum verankert. Dennoch: Im Laufe der Jahrhunderte kamen in vielen Weltregionen unterschiedliche Bräuche und Rituale hinzu.
Böse Geister, Spaßfaktor und Neubeginn: Das Feuerwerk im Wandel
Seinen Ursprung hat das Feuerwerk bei den Germanen, die versuchten, durch sogenannte „Höllenspektakel” böse Geister und die Dunkelheit des Winters durch Lärm und Feuer zu vertreiben. Die Fortsetzung dieses Brauches ist unsere Tradition, auf der ganzen Welt Feuerwerkskörper in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Jänner abzubrennen. Dabei scheint oberflächlich nur der Spaßfaktor wichtig zu sein. Viel bedeutsamer ist aber das Bedürfnis, ein Mal im Jahr mit einem Paukenschlag „nochmals anfangen” zu können. In den letzten Jahren ging der Trend zurück, individuelle Feuerwerke abzufeuern (dafür wollten immer mehr Menschen Großspektakeln beiwohnen). In jedem Fall werden jedes Jahr hohe Geldbeträge in das flüchtige Vergnügen investiert. Allein in Österreich macht die Feuerwerksindustrie um den Jahreswechsel einen Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro. Dies zeigt, dass wir uns Spaßfaktor & Neubeginn einiges kosten lassen. Die hohen Ausgaben und die Gesundheitsschädlichkeit der „Böllerei” machen das Feuerwerk zum Streitthema („Man könnte das Geld auch sinnvoller investieren!”).
Glücksbringer & Co.: Unterschiedliche Symbole für das Neue Jahr
In Österreich haben in der Silvesternacht zwei Konstanten Tradition: Erstens das Bleigießen und zweitens das Walzer-Tanzen um Mitternacht. Ersteres ist ein alter, aus Rom kommender Orakel-Brauch, bei dem die gegossenen Figuren Hinweise auf künftige Ereignisse im Neuen Jahr geben sollen. Woher das „Walzern” ins neue Jahr kommt, ist nicht bekannt. Wir können den Trend beobachten, dass derartige Traditionen hochgehalten werden. Glückssymbole werden in jedem Fall gerne verschenkt: Laut einer Studie von marketagent.com sind es 66% der Österreicher. Sie sollen dem Beschenkten Zufriedenheit und Unbeschwertheit im Neuen Jahr bringen und sind die Nachfolger von Amuletten, die früher aus Aberglaube zum Schutz vor bösen Geistern im neuen Jahr verschenkt wurden. Vom beliebten Schwein (von 77,1% verschenkt) über das Kleeblatt (knapp 60%) bis hin zum Rauchfangkehrer (knapp 51%): Die Bedeutungen der Symbole variieren. Alle sind jedoch Verbildlichungen für die pathetischen & ungreifbaren „gute Wünsche”. Wir sehen den Rauchfangkehrer und assoziieren Glück: Es ist ein Ziel, auf Markenebene ähnliche Konnexe zu erreichen!
Wie eingangs erwähnt, gibt es weltweit viele unterschiedliche Silvesterbräuche. Das ist nicht nur an Fernsehsendungen wie dem berühmten „Dinner for One” auszumachen, sondern je nach Kulturkreis äußerst unterschiedlich: Doch egal ob Trauben in Spanien, Basiliusbrot in Griechenland oder „108 Glockenschläge gegen das Übel” in Japan – das Bedürfnis der Menschen bleibt gleich!
Viele Bräuche, ein Bedürfnis: Die Projektion des Wünschenswerten
Wenn wir das Mindset hinter allen Symbolen und Traditionen genauer ansehen, geht es doch kulturübergreifend vor allem darum, dass wir Sehnsüchte und Wünsche, die wir bislang nicht verwirklichen konnten, ins kommende Jahr projizieren. Ging es früher um den Aberglauben, böse Geister für das kommende Jahr auszutreiben, haben wir diese bösen Geister heute durch unsere eigenen Unzulänglichkeiten ersetzt. Wir wollen das los werden, was uns stört und nennen es pathetisch „Glück”. Das Motiv ist die Verdrängung der Tatsache, dass uns auch 364 Tage im Jahr geblieben wären, um alles Lästige loszuwerden.
Das Jahr 2015 neigt sich dem Ende entgegen: Und die guten Vorsätze?
Wir kennen sie alle: ambitionierte Vorhaben fürs Neue Jahr. Sind sie unser neuer Aberglaube oder warum halten wir sie alljährlich nicht ein? Das erste Bedürfnis hinter Neujahrsvorsätzen lautet „Kontrolle”. Solange wir uns selbst das Gefühl geben, unser Leben im Griff zu haben, können wir auch mit (negativem) Stress besser umgehen. Bei einem Vorsatz geht es darum, dass man sich die Möglichkeit einräumt, diesen bewältigen zu können. Ob man ihn dann in die Tat umsetzt, ist für das Kontrollbedürfnis irrelevant. Zweitens geht es um den „unrealistischen Optimismus”, der dem Menschen zueigen ist. Wir reden uns ein, dass der Jahresbeginn einem kleinen Neuanfang gleichkommt. Das Motiv ist schlicht „Verdrängung”: Wir wollen uns nicht eingestehen, dass es trotz großen Kraftaufwandes nicht möglich ist, wieder bei Null anzufangen. Wie seltsam erscheint es da, dass wir gerade am letzten Tag des Jahres nochmal so richtig einen Draufmachen, um das Neue Jahr mit Kopfschmerzen zu starten?
Besonders die Fitness- und Gesundheitsindustrie profitiert von den Vorsätzen zum Jahreswechsel. Auch wenn sich Unternehmen ob ihrer Umsatzsteigerungen in den ersten Monaten des Jahres bedeckt halten, steigen sowohl die Zahl der Mitgliedschaften in Fitness-Clubs (vor allem im Jänner) als auch die Verkaufszahlen von Schlankheitsprodukten. Der Grund für das Versagen unserer Neujahrs-Ambitionen ist vor allem mangelnde Struktur. Wir wollen entweder „alles oder nichts”: Die Umsetzung von Vorhaben erfordert Ausdauer, Disziplin, Motivation und auch die Inkaufnahme von Rückschlägen. Da Verhaltensänderungen in fünf Phasen ablaufen, sollte man sich bewusst machen, dass der Vorsatz hierfür nur die erste Stufe ist! Übrigens haben sich gerade um die neujährliche Fitnesswelle eine Vielzahl von neuen Apps spezialisiert: „Fat Secret” oder „Nichtraucher Coach” sind nur zwei davon.
Wünsche werden durch Marken real: Silvester als Metapher für Marketer!
Obwohl wir wissen, dass uns der Jahreswechsel als Projektionsfläche des Unerreichbar scheinenden oder Unangenehmen dient, ist die Frage wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen? Produkte und Markenwelten sollten im Idealfall eine Verwirklichung der projizierten Wünsche sein: Durch eine Marke müssen Ziele erreichbar scheinen, wir müssen unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte in ihnen wiedererkennen. Nicht nur zum Jahreswechsel sind daher vor allem Produkte erfolgreich, die uns die Schieflagen des eigenen Mindsets aufzeigen, indem sie Wegweiser & Projektionsflächen sind, wohin die Reise im kommenden Jahr gehen kann und wofür wir uns welche Ziele setzen!