BVM Kongress 2016: Review

BVM Kongress 2016: (v.l.n.r) Robert Sobotka, Veronika Fasching, Charlotte Hager, Prof. Udo Wagner

Kann denn das die Marktforschung? Vor allem, wenn man daran denkt, das Big Data und Internet of Things (IoT) zunehmen. Wer braucht da noch Marktforscher – hat man denn nicht genug Daten im Netz, auf die man zurückgreifen kann?

51. Kongress der deutschen Marktforschung in Berlin. Thema: „Unternehmerische Entscheidungen beeinflussen“

Florian Bauer von Vocatus hat sehr schön dargelegt, dass Marktforschung mehr ist als nur Methodenkompetenz. Es geht um Modelle und Konzepte. Vor allem werden die Behavioural Economics immer wichtiger – warum verhalten wir uns wie in welchen Situationen? Das kann uns Big Data nicht beantworten. Wie Herr Prof. Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung sagt, „liefert Big Data perfekte Vorhersagen über das, was wir schon wissen, aber nur, wenn die Welt stabil bleiben würde … Jeder Wendepunkt wird übersehen.“ Das erinnert an den „Schwarzen Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb und der Professor bringt auch das Beispiel der Truthahn Illusion. Tja, nur weil es immer so war, heißt das nicht, dass sich die Dinge nicht ändern können.

Er plädiert für eine Kombination aus Daten und Intuition, denn Intuition ist gefühltes Wissen basierend auf Erfahrungen. Erinnert an unser schnelles System im Gehirn oder System 1 oder Autopilot. Geht es also darum Pilot und Autopilot mehr im Kombination zu bringen, um bessere Erkenntnisse zu erlangen?

Und Prof. Eppler von der Uni St. Gallen gräbt noch tiefer in die Kerbe, wenn er sagt, dass es unsere Aufgabe ist, Daten und Erkenntnisse neu darzustellen und zu interpretieren. Wir sollten runter von der Bühne und stattdessen an die Seite unserer Kunden – „be the guide in the side“. Weiter fordert er: „Datengraffitti“ machen, statt nur zu präsentieren, visuell interaktiv arbeiten, overview first, Detail on demand, Konsequenzen gemeinsam explorieren. Der Marktforscher als Sparingpartner.

Tom de Ruyck von InSites hat gezeigt, wie es gehen kann, nämlich bei Danone. „Insights should be a discussion topic in the company.“ Wow, da lacht das Marktforscher-Herz: Im Danone Activation Studio wird laufend Research betrieben.

@ comrecon Tom de Ruyck von InSites

@ comrecon Tom de Ruyck von InSites

Es ist ein Social Network, in dem permanent insights geteilt werden. Was insights sind, wird genau festgelegt. Die „Meme“ werden in der company gestreut. „Meme = an idea, behaviour or style that spreads from person to person within a culture“. Inspiration walls zeigen alle Insights, die für das tägliche Tun relevant sind – alle Insights aus verschiedenen Studien werden gesammelt und verdichtet.

Stichwort IoT

Vernetzung der Welt und die Bedeutung bzw. die Konsequenzen für die Marktforschung wurden aufs Tapet gebracht. Stephan Noller von ubirch zeigt, wie unsere Wohnzimmer und Körper immer mehr zu Interfaces werden. Keine Vision, sondern Realität. Immer mehr Daten werden generiert. Er spricht von embedded Marktforschung, was heißt, die Daten zu analysieren, die vorhanden sind. „Marktforschung ist die Abkehr von falscher Big Data.“

Praxisbeispiele zu Maredo, Daimler, AbbVie, VW und Stiegl haben aufgezeigt, wie wichtig Markt- und Motivforschung für strategische Entscheidungen ist.

„Ein Steak kann heute (fast) jeder.“ ist eines der Probleme von Maredo, mit dem es umzugehen heißt. Creative Advantage hat einen Repositionierungsprozess der Marke Maredo durchgeführt und dabei die drei Dimensionen Kunde, Mitbewerb und Unternehmen analytisch beleuchtet. Sehr schön zu sehen war die Anwendung unterschiedlicher Mafo-Methoden im Mix wie Home Visits und ein Online-Panel. Wichtig war die Verzahnung von Mafo und Umsetzung.

Social Media Forschung oder Digital Listening

Diese Themen werden künftig mehr Rolle spielen. Daimler zeigt, wie sie the „Voice of the Customer“ nutzen, um rasch auf Anforderungen oder Bedürfnisse reagieren zu können. Gerade für Zielgruppen zu Nischenprodukten wie der Mercedes G-Klasse ist Social Media sinnvoll – „diese Zielgruppe kann man mit Marktforschung nur sehr schwer erreichen“. Das Monitoring von Social Media wird von Forschern von Consline gemacht, die die Daten bereinigen, clustern, Tonalitäten gewichten und damit verwertbar machen.

AbbVie zeigt, wie sie mit Hilfe von Digital Listening einen Paradigmenwechsel in der Pharmaindustrie eingeführt haben. Gemeinsam mit Ipsos werden soziale Daten ausgewertet und umgewandelt in Erkenntnisse über die Patient Journey, mentale Spannungsfelder und es konnte eine Patiententypologie erarbeitet werden.

© comrecon Steffan Maas von Ipsos

© comrecon Steffan Maas von Ipsos

Am Beispiel von VW hat uns brainjuicer gezeigt, welche Faktoren bei einer Marke wichtig sind: Fame, Feeling, Fluency. Je nachdem, welche Dimension stärker ausgeprägt ist, muss die Marketing Strategie anders ausgerichtet sein.

© comrecon Mark Johnson, BrainJuicer

© comrecon Mark Johnson, BrainJuicer

Wie „FFF“ bei VW in der Krise aussieht zeigt, dass sich wenig geändert hat – die Dimensionen wurden etwas kleiner – vor allem Feeling – und dennoch bleibt die Marke stark, weil sie über hohen „Fame“ verfügt und auch schon früher hohes „Feeling“ hatte.

© comrecon Mark Johnson, brainjuicer

© comrecon Mark Johnson, brainjuicer

Exkurs: Wie die neue Imagekampagne von VW der Marke helfen kann, lesen Sie in unserer Semiotischen Analyse im Blog nach.

Charlotte Hager hat am zweiten Tag zu „Community Experience erforschen und erschaffen – LEGO® Serious Play® in der qualitativen Marktforschung“ referiert.

© comrecon Charlotte Hager

© comrecon Charlotte Hager

Wie auch schon Prof. Martin Eppler von der Uni St. Gallen postuliert, ist es wichtig, visuell interaktiv zu arbeiten, um bessere Entscheidungsqualitäten hervorzubringen. Das gilt aus seiner Sicht generell für die Aufbereitung von Mafo-Ergebnissen, aus unserer Sicht auch für den Brainstorming-Prozess bei strategischen Entscheidungsfindungen. In unserem Fall LEGO® Serious Play®. Die Hand-Auge-Verbindung bringt Unbewusstes und noch nicht Gedachtes zum Vorschein. Neues wird Erschaffen durch Co-Creation. Wir setzen LSP gerne in Mafo-Workshops ein, um näher an Bedürfnisse, Visionen heranzukommen und den Horizont zu öffnen. Oder wie die Erfinder es selbst sagen: Vom konstruktivistischen Denken zu einem konstruktionistischen zu kommen.

Mehr zum Stiegl Freundeskreis Case finden Sie hier.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Forschung sollte kein eigenes Projekt sein, sondern als Teil des strategischen Prozesses implementiert werden
  • Unternehmen sind gut beraten, sich mit den Analysten im laufenden Prozess an einen Tisch zu setzen
  • Unternehmen sollten Marktforscher als Data Scientists hinzuziehen, denn sie sind die Datenprofis – Stichwort Embedded Marktforschung
  • Marktforscher sollten ihre Daten dynamisch aufbereiten und mit dem Kunden gemeinsam noch weiterdenken. Von der Präsentation zum Workshop
  • Mehr Fokus auf Verhaltensforschung legen – Modelle statt Methoden
  • Vom Profisegler Tim Kröger kam der wichtigste Tipp: „Gib niemals auf – du bringst dich sonst um die Chance, die süßen Früchte zu ernten.“