Festessen, Geschenk-Chaos, Familienstreit? Unterschiedlichste Bilder kommen uns in den Kopf, wenn wir an Weihnachten denken. Erstaunlicherweise haben nur noch sehr wenige etwas mit dem ursprünglichen religiös-christlichen Konnex zu tun. Wir fragen uns, welche Symbole und Assoziationen das Weihnachtsfest besonders machen: Ist Weihnachten zum Fest der Marken(-zeichen) geworden?
Das „Fest des Jahres“: Grundlegende Änderungen eines Rituals
Im Nikolo-Blogbeitrag haben wir berichtet, dass sich die Art des Festes – wie wir es kennen – erst mit dem Aufstieg der „bürgerlichen Familie“ und der wachsenden Bedeutung von Kindern entwickelt hat. Ähnlich verhält es sich auch mit Weihnachten: Erst im 18. Jahrhundert begann man, am 25. Dezember eine Geschenkübergabe in Form einer Bescherung zu etablieren. Davor war diese Aufgabe dem Nikolo am 6. Dezember zugedacht. Wichtig hierbei ist, dass es sich um Geschenke für Kinder handelte. Sowohl die Adventszeit als auch die Weihnachtsfeiertage, wie wir sie in Österreich vom 24. Dezember bis zum 26. Dezember zelebrieren, sind in ihrer mit Fröhlichkeit und Erwartung aufgeladenen Symbolik relativ neu.
Weihnachtsmann vs. Christkind: Die Schwierigkeit mit der Kategorisierung von „Traditionen“
Woher kam der Perspektivenwechsel; also weg vom christlichem Ritual hin zu Familie & Konsum? Im 18. Jahrhundert hat zunächst die Spielwarenindustrie an Bedeutung zugenommen: Durch wachsenden Wohlstand des Bürgertums und den Anspruch, dass Spielsachen einen Bildungs-Mehrwert für die Kinder haben sollten, eroberten schließlich 1850 die Dampfmaschinen viele Kinderzimmer wohlhabender Familien. Die Aufwertung des Weihnachtsfestes ist also eine Folge des wachsenden Wohlstands – und nicht die Betonung „christlicher Werte”.
Ein damit verbundener Aberglaube ist die Dualität „Weihnachtsmann vs. Christkind“. Eigentlich müsste sie „Nikolo vs. Christkind“ heißen, da zu Zeiten Martin Luthers der Nikolo durch das Christkind „abgelöst“ wurde. Begründung: Die evangelische Kirche benötigt keine (Schutz-)Heiligen. Erst mit der Zeit passten sich alle Konfessionen dieser Entwicklung an. Der Weihnachtsmann ist – auch hier haben wir bereits im Nikolo-Blogbeitrag berichtet – eine Entwicklung der angelsächsischen Länder, die aus der Zeit um 1930 zu einer Vereinheitlichung des „Santa Claus“ führte. Weil vielen Menschen dieser Unterschied nicht bewusst ist, kommt es alljährlich zu amüsanten Interviews von Radiosendern (Ö3-Mikromann) oder lustigen Blogbeiträgen, wenn Eltern mit ihren Kindern diskutieren, wer denn nun am 24. Dezember die Geschenke bringt.
Vom Christbaum bis zu den Geschenken: Luxus und hohe Erwartungen
Mit prächtig geschmückten Christbäumen verhält es sich ähnlich wie mit der Schenk-Kultur: Erst 1826 wurden diese durch Prinzessin Henriette nach Wien gebracht und verbreiteten sich dann in ganz Österreich. Es wundert niemanden, dass das „exklusive“ Ambiente rund um das Weihnachtsfest eine logische Folge der (wirtschafts-)geschichtlichen Entwicklungen ist: Das Bedürfnis nach dem Besonderen der Geschenke und dem Prunk des Christbaumes setzte sich mit dem Aufschwung des Wohlstandes in allen Gesellschaftsklassen durch. Wir können also in diesem Fall von einer „Marke Weihnachten“ sprechen, die wir uns selbst erschaffen haben. Ihre Markenzeichen wurden von der Spielzeug- bis zur Glasschmuckindustrie auf unterschiedlichste Weise ausgebaut. Spezielle Weihnachtsshops wie Käthe Wohlfahrt sorgen ganzjährig für ein mulisensensuales Erlebnis der Weihnacht.
Gesellschaft & Musik: Das Weihnachtsessen als Fest der Sinne
Kaum etwas ist am Heiligen Abend so individuell wie das familiäre Weihnachtsessen. Sicher, im Laufe der Zeit haben sich regionale Trends rund um das Weihnachtsessen etabliert. Trotz der vielen individuelle Abweichungen wollen viele Familien, dass das Weihnachtsessen besonders und herausragend wird. Die Untermalung mit Musik und der passenden Dekoration macht das Fest dabei zum multisensualen Erlebnis: Wissenschaftler der Oxford University fanden heraus, dass verschiedene Geschmacksrichtungen durch entsprechende Klangfarben stimuliert werden! Damit kommt nicht nur das Bedürfnis nach Differenzierung zum Ausdruck („Wir wollen uns nicht mit Traditionen anderer vergleichen!“), sondern ein grundlegender Symbolwandel des (Fest-)Essens am Heiligen Abend: Es geht um das Zelebrieren der Familie als geschützten Raum. Wir wollen aus der gehetzten Alltags-Einsamkeit in die harmonische Familien-Geselligkeit eintauchen. Groteskerweise will man eigentlich zur Ruhe kommen (Stichwort: „Besinnlichkeit”).
Tradition als Mainstream? Exklusivität überall!
Einhergehend mit dem Kult ums Weihnachtsessen ändern sich die Kontexte rund um die Feiertage: Möglichst exklusiv soll es sein! Das beinhaltet nicht nur teure Christbaumdekoration sondern auch die Kleidung rund ums Fest. Auch sie sind zu Markenzeichen der „Marke“ Weihnachten geworden, die jährlichen Trends unterliegen: Diese werden von der Textil- bis hin zur Süßwarenindustrie gesetzt. Sie haben ihre Produkte im Laufe der Jahrzehnte gekonnt zum Mittelpunkt des Geschehens gemacht und den christlichen Kontext des Festes weitgehend ersetzt. Nahe stehenden Menschen soll durch (möglichst teure) Geschenke signalisiert werden, „wie viel” sie uns bedeuten.
https://www.youtube.com/watch?v=XvUOzIdXwVM
Wir wollen uns nicht nur gegenseitig, sondern vor allem uns selbst zeigen, „was wir Wert sind”: Tradition scheint Mainstream geworden zu sein, dem man sich nicht anpassen will. Geht es um Individualität, Familiarität oder um das Dazugehören durch das Aufspüren von Trends? Die „Tradition” ist nur noch das Rahmenkonzept: Wir schwelgen in Nostalgie, individualisieren aber, wo immer es uns möglich ist.
Allein die bisherigen Zahlen für das Jahr 2015 bestätigen den Trend zur „Marke Weihnachten als Selbstverwirklichung”: Der Versandhandel rechnet in der Vorweihnachtszeit mit einem Umsatzplus von bis zu 15%. Besonders spannend in der Entwicklung ist die Tatsache, dass der Einzelhandel auch in den Jahren der Wirtschaftsflaute von 2007 bis 2009 Mehrumsätze von mind. einer Million Euro in der Vorweihnachtszeit hervorbrachte. Dieser hausgemachte Anspruch verursacht vor allem in der „besinnlichen” Vorweihnachtszeit immer häufiger Stress.
Entfremdung von Handel und Kunden: Sind Geschenke überflüssig?
Sind wir durch das gegenseitige Beschenken schon so verwöhnt, dass wir es im Grunde auch bleiben lassen können? Nein! Eine Studie der Stanford University ergab, dass psychologisch kein Zusammenhang zwischen dem Preis eines Geschenks und der dadurch beim Beschenkten ausgelöste Freude besteht. Ein Geschenk sollte demnach vor allem signalisieren, dass wir uns über die beschenkte Personen Gedanken gemacht haben. Es klingt zwar lapidar, dass Konsumenten der heutigen Zeit in jeder Hinsicht Informationsvorsprünge haben. Das ist aber nicht nur der Grund, warum es der Einzelhandel gegenüber dem Online-Handel immer schwerer hat, sondern auch die Folge einer Entfremdung: In der Weihnachtszeit prallen Realität vs. Wünsche, Individualität vs. Familie, Tradition vs. Innovation aufeinander. Wir finden uns in verschiedenen Welten wieder. Erfolgreiches Marketing diese Widersprüche aufgreifen und versuchen, die verschiedenen Welten durch entsprechende Produkte miteinander zu verbinden. Unser Bedürfnis nach Gemeinschaft und emotionalem Halt, gerade zur Weihnachtszeit, ist eine wichtige Erkenntnis für Hersteller, die mit den weihnachtlichen Marken(-zeichen) arbeiten. Da werden auf einmal Dörfer zu Adventskalendern, wo Menschen den Rest des Jahres nur selten miteinander kommunizieren. Wir erreichen Menschen in diesem Fall durch das Motto: „Weniger ist mehr!” – Gefühle wie Wertschätzung, Besinnung und vor allem Entspannung sollten betont werden, denn: Wer gestresst ist, kauft im Zweifelsfall weniger.